Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
Packpapier, Prospekten, Werbeschriften und Tüten zusammen. Jetzt trat sie aus Willies Blickfeld, und er hörte sie in einer der Schubladen herumkramen, die ohnehin schon bis an den Rand mit ähnlichem Abfall vollgestopft waren. Rita brachte es einfach nicht übers Herz, irgend etwas wegzuwerfen. Wer weiß, ob man das Zeug nicht doch noch einmal brauchte oder darin etwas nachsehen mußte?
«Wie wär’s mit ’ner Tasse Tee, Rita?» rief Willie.
Sie erschien in der offenen Tür, eine Blondine mit gedrungenen Körperformen, großen braunen Augen und rundem puppenhaft hübschem Gesicht. Sie trug ein billiges, durchscheinendes Negligé über dem spitzenbesetzten Büstenhalter und dem Höschen, ferner Netzstrümpfe und hochhackige Hausschuhe. «Ich räume nur noch weg, Willie. Wirklich, ich weiß nicht, wo all das Zeug immer herkommt. Sobald ich fertig bin, kriegst du deinen Topf voll Tee.»
«Okay, Liebling. Mach nur erst fertig.»
«Bist ein guter Junge.» Sie sah ihn mit zärtlichem Augenaufschlag an und verschwand wieder. Befriedigt vertiefte sich Willie von neuem in sein Comic-Heft.
Jetzt lief der Hase richtig. Am Anfang war er ein bißchen zu barsch, zu drohend mit Rita umgegangen, aber das war falsch gewesen. Angst haben wollte Rita nur vor Jack Wish. Der hatte sie schon seit langem am Haken, wie sonst nur ein Zuhälter sein Strichmädchen. Nicht daß Rita auf den Strich gegangen wäre. Sie wollte nur einen Mann hinter sich wissen, auch wenn sie ihn selten zu sehen bekam, und dieser Mann war Jack Wish. Wahrscheinlich war es Wish ganz egal, ob sie ihm treu war oder nicht, aber Rita redete sich ein, daß er Wert darauf legte. Deshalb schlief sie gelegentlich mit einem andern und genoß dabei die eingebildete Gefahr. Aber der andere Mann durfte sie in nichts an Jack Wish erinnern.
Sie wollte jemanden, der liebenswürdig und aufmerksam war – eben einen guten Jungen. Und als solcher gab sich Willie Garvin, seit er ihr Gefühlsleben durchschaut hatte.
Rita liebte es, in einer sehr sanften und nahezu mütterlichen Art den Ton anzugeben. Konnte sie das, war alles in Ordnung. Nach einem kurzen Fehlstart war Willie sofort auf ihre Art eingegangen. Es war der einzig erfolgversprechende Weg, denn er spürte in Rita eine gewisse untergründige Härte, und die hatte Jack Wish sich zunutze gemacht – falls Modestys Vermutung zutraf.
Willie hatte Rita vorsichtig mit einigen indirekten Fragen auf die Probe gestellt. Sie hatte keinen Verdacht geschöpft, aber auch keinerlei brauchbare Antwort gegeben, hatte lediglich mit einem Kichern, dem etwas wie Respekt beigemischt war, eingestanden, daß sie einen ständigen Freund habe, der aber viel auf Reisen sei, so daß sie ihn nur gelegentlich sehen könne. Es gab keine Fotos von ihm im Schlafzimmer, und Rita nannte nie seinen Namen; wenn die Rede darauf kam, sprach sie nur von
ihm
, und es klang wie großgeschrieben.
Willie Garvin war enttäuscht. Er war ja ziemlich weit bei ihr gekommen, aber das war nicht genug. Er war ihr guter Junge und stand auf so vertraulichem Fuß mit ihr, daß er sie leicht hätte ausholen können – hätte sie sich nur ausholen lassen.
So machte er sich Gedanken über die weiteren Möglichkeiten, doch es schien keine zu geben, außer der einen, sie an ihr Bett zu fesseln und ihr eine Skopolamin-Injektion zu verpassen. Düster sah er voraus, daß es wohl dazu kommen werde.
Wieder blickte er auf das zerlesene Heft in seiner Hand. Er hatte gerade den Leserbriefkasten aufgeschlagen, wo unter anderem ein Mädchen, das sich «Ratloser Rotkopf» nannte, wissen wollte, wie weit sie ihren fabelhaften, aber ungeduldigen Freund gehen lassen solle; denn sie fürchtete, seine Liebe zu verlieren, falls sie ihm nicht zu Willen wäre. Willie las auch Mary Wisdoms stereotype Antwort. Gelangweilt überlegte er sich eine ganz andere, angesichts derer Mary Wisdom wohl erstarrt wäre, falls sie das Vokabular überhaupt verstanden hätte, die aber dem Freund des «Ratlosen Rotkopfs» sicher aus dem Herzen gesprochen gewesen wäre.
Willies Blick blieb auf der Kopfleiste der Seite haften. Das Heft war vor mehr als fünf Monaten erschienen. Das wunderte ihn nicht weiter. Rita war von zwanghaftem Sammeltrieb besessen. Beim Umblättern glitt ein Fensterkuvert heraus, auf dessen Rückseite eine Einkaufsliste gekritzelt war. Nach dem Absender zu schließen, hatte der Umschlag eine Gasrechnung enthalten.
Plötzlich hatte Willie eine Idee. Er legte das Heft weg und zündete
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