Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
änderte alles. Sie trat an den Schrank und zog sich ein Hemd und eine lange Hose an.
Giles Pennyfeather wurde hierher ins Haus gebracht.
Wenn sie jetzt, in dem allgemeinen Durcheinander, eine Gelegenheit finden oder schaffen konnte, würde das die beste Lösung sein, denn sonst würde es sich womöglich herausstellen, daß Brunels Tod die Situation zum Schlechteren verändert hatte. Wahrscheinlich würde Chance das Kommando übernehmen, zumindest vorübergehend. Er konnte niemals Brunel ersetzen, konnte niemals Brunels Projekte fortführen, aber er würde es bestimmt versuchen. Seine Eitelkeit würde verhindern, daß er sich seine Unfähigkeit eingestand. Und wenn Chance erst einmal das Heft in der Hand hatte, würde sie nicht mehr lange leben. Sein Haß auf sie hatte sich seit ihrer Ankunft hier Tag für Tag verstärkt. Sie hatte es seinen Augen angesehen. Auch Giles würde sterben müssen, auf qualvolle Weise. Chance würde niemals Brunels geduldiges Verfahren fortsetzen, Giles’ Gedächtnis mit gemäßigter, zeitlich genau geplanter Folter auf die Sprünge zu helfen. Er würde versuchen, Giles mit brutalsten Mitteln zur Preisgabe der Koordinaten zu zwingen; wahrscheinlich glaubte er ohnehin nur halb, daß er sie kannte.
Sie holte das Küchenmesser, das Drahtstück und den behelfsmäßigen Kongo aus dem Versteck und zögerte einen Moment, bevor sie die Sachen griffbereit unter die Matratze legte. Sie war in Versuchung, sie gleich einzustecken, aber es war besser, zu warten, bis sich eine Gelegenheit zum Handeln ergab. Im Augenblick war die Situation verworren, unvorhersehbar.
Es kam ihr in den Sinn, daß sie vielleicht in den leeren Hof hinunterklettern konnte, da Camacho jetzt fort war. Wenn sie den Hof ungesehen überqueren konnte, würde sie Camacho folgen, ihn ausschalten, Giles befreien und eines der Autos nehmen …
Sie zog ihre Stiefel an und trat wieder ans Fenster, um sich zu vergewissern, daß der Hof noch immer leer war. Als sie hinausschaute, bog ein kleiner Lastwagen um den Nordflügel und hielt. Van Pienaar fuhr, neben ihm saß Selby. Hinten hockten zwei Kikuju, beide mit einem Gewehr. Sie hatte ein Dutzend von ihnen gesehen, unten im Dorf. Sie paßten auf die Bantus auf. Anscheinend waren die Kikuju angeheuert worden, um als private Polizeitruppe in Brunels kleinem Reich zu dienen, unter dem Befehl der Aufseher. Sie sahen mehr wie Eingeborene aus der Stadt aus denn wie Dorfbewohner und wußten offenbar gut mit ihren Gewehren umzugehen.
Van Pienaar sprach mit ihnen, zeigte auf das Fenster von Modestys Zimmer, und dann kamen er und Selby beinahe im Laufschritt auf das Haus zu. Keine Möglichkeit, aus dem Fenster zu klettern. Sie mußte warten.
Vielleicht würde Chance sie in der allgemeinen Aufregung bis morgen vergessen, oder es zumindest bis morgen aufschieben, sich mit ihr zu befassen, darauf bauend, daß sie unter dem Einfluß starker Drogen stand und keinen Ärger machen konnte.
Vielleicht. Sie verzog spöttisch die Mundwinkel.
Wie unrealistisch von ihr, diese Hoffnung zu hegen!
Wenn sie Chance richtig einschätzte, würde er seinen Haß nicht überschlafen. Dafür saß er zu tief.
Sie überlegte, ob sie mit dem Drahtstück die Tür öffnen sollte, ließ den Gedanken aber wieder fallen.
Leute kamen und gingen auf den Treppen und im Hauptkorridor. Ohne eine Schußwaffe konnte sie sich auf keinen Fall durchschlagen. Sie schaute aus dem Fenster, an der Ecke des Südflügels vorbei, und sah Giles Pennyfeather. Camacho trieb ihn mit leichten Stößen vor sich her. Er humpelte noch, schien aber keine so großen Schmerzen mehr beim Gehen zu haben wie vor drei Tagen, als sie miteinander gesprochen hatten. Das war seltsam. Hatte Brunel die Behandlung unterbrochen …?
Sie verschwanden aus ihrem Blickfeld, und eine Minute später hörte sie Camachos Stimme auf der Treppe rufen. Dann verebbten die Tritte und die Stimmen, und es war wieder still. Nach einer Weile ging sie zum Bett zurück, setzte sich darauf, beobachtete die Tür, wartete.
Sie versammelten sich in der Diele. Camacho und van Pienaar, Loeb, Mesquita und Selby. Nur Jacko war nicht dabei; er bewachte Pennyfeather, der sich oben um Lisa kümmerte.
Chance stellte sich hinter dem Stuhl auf, den Brunel immer benutzt hatte, und legte die Hände auf die Lehne. Er sagte mit scharfer Stimme: «Also, jetzt wollen wir das mal klären. Brunel ist tot, Lisa hat ihn umgebracht. Und jetzt sage ich euch, wie es weitergeht.»
«Zuerst bringen
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