Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
gehorchen wollte, und teils weil die Stimmen so klar in Worten, richtigen Worten sprachen, denen sie lauschte. In einer Art Singsang, wie ein Chor winziger Glöckchen in ihrem Kopf, führten, ermahnten, kommandierten sie.
Als sie das erste Mal zu ihr gekommen waren, war sie zu Tode erschrocken, hatte aber gehorcht, weil das, was sie verlangten, einfach und leicht war. Aber das hatte sich geändert. Schon bald war ihr befohlen worden, Dinge zu tun, vor denen sie sich fürchtete und ekelte, erst mit Brunel, dann auch mit anderen. Sie hatte sich jetzt abgefunden mit der Art, in der die Stimmen über ihren Körper verfügten, aber ihre anderen Befehle jagten ihr noch immer Furcht ein. Sie wagte nicht, es sich anmerken zu lassen, wagte nicht einmal zu denken, was sie fühlte, denn das wäre unrecht gewesen. Die Stimmen hatten immer recht, selbst wenn sie ihr befahlen, jemanden zu töten. Sie waren leidenschaftslos und allwissend, und sie hatten ihr zu verstehen gegeben, daß es ein Privileg für sie sei, ihnen dienen zu dürfen, ein ernstes und schreckliches Privileg, das in seiner vollen Bedeutung zu verstehen sie zu dumm und zu unwürdig sei. Wenn sie Abscheu verspürte, wenn sie den tiefverwurzelten Wunsch verspürte, ungehorsam zu sein, dann war das ein häßlicher Charakterfehler, eine schimpfliche Schwäche.
Sie wußte, daß sie Brunel befriedigt hatte, denn sonst hätten die Stimmen sie schon längst hart getadelt.
Jene wenigen Male, als sie völlig versagt hatte, waren die silbrigen Töne die ganze Nacht in leidenschaftslosem Haß in ihrem Kopf erklungen, eine endlose Wiederholung, die sie an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte. Aber diesmal waren sie nicht unzufrieden, sie verlangten nichts von ihr, jedenfalls nichts außer den ständigen Befehlen, an die sie schon längst nicht mehr erinnert zu werden brauchte.
Ein Gedanke durchzuckte sie, und Angst stieg in ihr auf, die sie jedoch rasch und schuldbewußt unterdrückte. Brunel wollte, daß sie sich an einen Mann namens – Garvin, hatte er wohl gesagt, heranmachte. Wenn er ein böser Mann war, ein Feind der Stimmen, konnte es sein, daß sie ihr eine jener Pflichten auferlegten, die sie am meisten verabscheute. Sie schauderte in der Erinnerung daran, was sie auf Verlangen der Stimmen dem Mann in Ruanda hatte antun müssen. Es war natürlich zu seinem eigenen Besten gewesen, anders konnte es nicht sein, das wußte sie, aber sie hatte beinahe den Verstand verloren. Und sie war
froh
gewesen, als er entkam, und das war niederträchtig von ihr gewesen.
War sie schuld gewesen? Hatte sie ihm irgendwie eine Gelegenheit verschafft, die er dann ausnützte? Sicher nicht, denn die Stimmen hätten sie fast bis zur Vernichtung dafür bestraft. Und doch …?
Sie schüttelte den Kopf und verscheuchte ihre Erinnerungen, ungehalten über ihre Schwachheit. Sie wandte sich um und betrachtete mit Verachtung ihren nackten Körper in dem bis zum Boden reichenden Spiegel. Monstrum. Weißhaariges, farbloses Monstrum.
Du solltest dankbar sein, daß die Stimmen sich herablassen, sich einer solchen Kreatur zu bedienen. Sei froh und gehorche.
Sie lauschte, weil sie hoffte, daß die Stimmen ihre Gedanken gehört hatten und ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen würden, aber es kam nichts. Sie trat unter der Brause hervor, trocknete sich ab, warf ein Badetuch über und ging ins Schlafzimmer zurück, zu den langen Bücherregalen. Wenn sie im Augenblick aller Pflichten ledig sein sollte, konnte sie sich ausruhen und ihr anderes Leben führen, jenes Leben, das zwischen den Buchdeckeln lag. Die Romane waren zum größten Teil historisch. Da gab es keine phantastischen Erzählungen oder Krimis, keine moderne, sexbetonte Literatur. Weitaus den größten Teil der Bibliothek nahmen Memoiren und Biographien aus früherer Zeit ein. Hier lebte sie den ruhigen, heiteren Teil ihres Lebens, in Gesellschaft der Romantiker und Nachromantiker mit ihrem unerschütterlichen Vertrauen in eine Welt, die sich nicht oder doch nur langsam veränderte.
Sie entschied sich für
Die Goldenen Jahre
, eine Essay-Anthologie aus der Zeit König Edwards, legte das Buch auf ihr Kopfkissen und setzte sich dann an den Toilettentisch, um sich die Nägel zu maniküren. Brunel wünschte, daß sie die Nägel ziemlich kurz trug. Wenn er nur nicht auf dem leuchtend roten Nagellack bestanden hätte – durch den Gegensatz erschienen ihr Haar und ihre Haut noch weißer.
Brunel hatte sich nicht beeilt, nachdem er Lisas
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