Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
abgelöst. Auf dem Tisch lagen zwei von Jackos Sexheftchen. Chance ignorierte sie. Er langweilte sich, langweilte sich zu sehr, um sich die Mühe zu machen, seine Langeweile zu vertreiben. Beiläufig dachte er an Lisa. Vier Tage waren jetzt vergangen, seit er bei ihr gewesen war. Nicht sehr lange. Es würde eine Weile dauern, bis Brunel ihn wieder zu ihr lassen würde, aber das machte nichts. Was zu leicht erreichbar war, verlor seinen Reiz. Ganz kurz und nebenbei kam ihm der Gedanke, was Lisa wohl dachte und fühlte, aber er war nicht neugierig genug, um der Frage nachzugehen. Er hatte sie so lange als lebendiges Spielzeug benützt, daß es über seine Kräfte ging, sie jetzt als menschliches Wesen zu betrachten.
Er gähnte und blickte sich ärgerlich um. Die letzten vier Tage waren sie alle in diesem Haus eingeschlossen gewesen und hatten gewartet. Gewartet auf Blaise und Garvin. Er war jetzt überzeugt, daß sie nicht kommen würden, und war zutiefst enttäuscht. Es hatte hoffnungsvolle Augenblicke gegeben. Die verdächtigen Anrufe, zum Beispiel. Einer kam von einem Mann, der angeblich Versicherungen verkaufte; er hatte mit Brunel eine Verabredung getroffen, war aber nicht erschienen. Auch an die Haustür waren Leute gekommen.
Drei Männer und zwei Frauen insgesamt. Sie hatten für wohltätige Organisationen gesammelt, eine Verbraucherbefragung durchgeführt oder sich erboten, elektrische Geräte zu reparieren. Er war ziemlich sicher, daß keiner von ihnen echt gewesen war, aber leider war auch keiner von ihnen Modesty Blaise oder Willie Garvin gewesen. Verkleidung hatte ihre Grenzen. Man konnte sich nicht so verkleiden, daß man jemanden täuschen konnte, der einen kannte und das Täuschungsmanöver erwartete.
Das alles war ein Spiel, durch das sie abgelenkt und irregeführt werden sollten. Das war Brunels Meinung, und Chance stimmte ihm zu. Wahrscheinlich besorgte Fraser die Statisten. Welches Spiel aber wurde wirklich gespielt? Chance hielt es für wahrscheinlich, daß überhaupt keines mehr gespielt wurde, daß sie es aufgegeben hatten. Es war jammerschade, daß Brunel so lückenlose Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. Hätte er lieber ein Schlupfloch offengelassen, ein hübsches, raffiniert angelegtes Schlupfloch, in das man Blaise und Garvin hätte locken können.
Er nahm sein Glas und nippte daran, während er einem vertrauten Geräusch draußen auf der Straße lauschte. Irgend etwas fuhr die Straße entlang, ein Raupenfahrzeug. Der Motor war ziemlich leise, aber es ratterte und knirschte sehr laut. Wieder so ein technisches Ungetüm für die Ausschachtungsarbeiten weiter oben an der Straße. Anscheinend brachten sie diese Dinger am liebsten in der Nacht an. Letzte Nacht waren es zwei Planierraupen gewesen.
Chance erhob sich, zog den Vorhang einen Spaltbreit auf und sah gerade noch den Ausleger eines fahrbaren Krans um die Hausecke verschwinden. Er ließ den Vorhang fallen, schlenderte zu dem Tresor hinüber und streichelte die glatte Stahloberfläche. Ein schöner Tresor.
Irgend etwas beunruhigte ihn, nagte an seinem Unterbewußtsein. Er war plötzlich hellwach und suchte herauszubekommen, was es war. Alles war still. Kein Geräusch außer dem gleichmäßigen Tuckern vom Motor des fahrbaren Krans draußen – Das war es. Das Ding war stehengeblieben. Warum?
Auf einmal, ohne Vorwarnung, erbebte das Haus, als sei mit einem gigantischen Hammer ein gewaltiger Schlag gegen die Außenmauer geführt worden. Chance fühlte den Boden unter seinen Füßen zittern, und ein großes Stück Verputz fiel von der Decke. Sein Arm war wie betäubt, der Arm, mit dem er den Tresor berührt hatte. Das war die Stelle, wo der Schlag aufgetroffen war, an der Außenmauer dicht über dem Tresor.
Mit einem Satz war er am Tisch und griff nach dem Revolver. Ein weiterer dumpfer Schlag ließ seine Ohren summen, und als er sich umdrehte, sah er, wie ein großes Mauerstück auf den Fußboden stürzte und ein klaffendes Loch neben dem Tresor riß, ein Loch, von dem breite Risse ausstrahlten.
Chances Mund verzerrte sich zu einer Fratze, seine Augen waren so weit geöffnet, daß die Lider verschwunden waren. Sein Gehirn hatte zu arbeiten aufgehört, weil es im ersten Augenblick das Unglaubliche, das hier geschah, einfach nicht zu fassen vermochte.
Der nächste Schlag erschütterte die Wand auf der anderen Seite des Tresors.
Jacko brüllte etwas von oben herab. Noch ein massiver Anprall, und ein Stück Mauerwerk, ein
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