Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
sich.»
«Er bringt dich zum Lachen.»
«Ja, aber das meine ich nicht. Schwer zu sagen, was es ist, wirklich. Vielleicht liegt es daran, daß er außen derselbe ist wie tief drinnen.» Sie nickte. «Ein unschuldvolles Gemüt. Er könnte sich nicht verstellen, selbst wenn er es versuchte.» Ihre Augen funkelten plötzlich belustigt. «Ich habe nie jemanden gekannt, der so ein schlechtes Gedächtnis hatte. Es scheint, daß ich erst das vierte oder fünfte Mädchen bin, das er je gehabt hat, aber er weiß es nicht mehr genau.»
Willie lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloß in der Erinnerung halb die Augen. «Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Mädchen.»
«Wer war sie?»
«Annie.»
«Annie, und weiter?»
«Ich weiß es nicht, Prinzessin. Wir nannten sie im Waisenhaus ‹Annie, die Möse›. Sie war die Tochter des Hausmeisters, und der hieß bei uns nur ‹der Giftzwerg›.»
«Wie alt warst du damals?»
«Vierzehn. Das war kurz bevor ich durchbrannte. Sie war sechzehn. Dumm wie Bohnenstroh, aber willig. Aber ganz so romantisch war das nicht. Sie war das einzige weibliche Wesen weit und breit, und die Großen hatten sie unter Vertrag. Für ein Päckchen Zigaretten oder einen halben Dollar konnte man sich von ihnen eine halbe Stunde mit Annie im Heizkeller kaufen.
Sie gaben Annie zwanzig Prozent, aber in Schokolade.
Sie war ganz schön fett.» Er schaute wehmütig drein. «Ich war versessen darauf, Annie zu kriegen und herauszufinden, was es mit alldem auf sich hatte, aber ich hatte niemanden, der mir Päckchen schickte oder so, und deshalb war ich ständig blank.»
«Erzähl mir nur nicht, du hättest ihre Agenten übervorteilt!»
«Nein, eigentlich nicht. Wir hatten da einen älteren Jungen, und er war der große Boss. ‹Würfelspieler› haben wir ihn genannt. Er war ein richtiger Schuft, aber ganz wild auf Wetten und Spiele. Also hab ich mit ihm Conkers gespielt – du weißt doch, das Spiel, bei dem man die Kastanie des Gegners zerschlagen muß – und dabei gemogelt. Ich gewann fünfzehn Minuten mit Annie.»
«Das Conkers-Spiel.» Sie lachte durch die Nase und stellte ihre Kaffeetasse hin. «Kann ich das Tarrant erzählen? Das ist ihm ein Mittagessen wert.»
Er machte eine Geste. «Natürlich.»
«Aber wie hast du ihn bemogelt? Hast du seine Kastanie präpariert?»
«Nein. Um sicher zu sein, daß ich seine zerschlagen würde, machte ich mir eine aus Blei. Ich goß sie, malte sie an, bohrte ein Loch hindurch und fädelte den Bindfaden ein. Ich brauchte fast eine Woche, aber sie sah ganz echt aus. Ich machte nur den Fehler, Annie hinterher einzuweihen. Sie sagte es dem Würfelspieler weiter, und mir blieb nichts anderes übrig, als durchzubrennen.» Sie stützte das Kinn auf die Hände und lächelte ihn an. «Danke, Willie. Diese Anekdote bringt mir ein Abendessen mit Champagner ein.» Plötzlich kam ihr ein Einfall, und sie verstummte. Vor ihrem inneren Auge jagte ein Bild das andere.
Nach einer Weile stand Willie Garvin auf und sagte in sanft fragendem Ton: «Prinzessin?»
Sie richtete den Blick auf ihn, und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. «Ich glaube, du hast den Stein der Weisen gefunden, Willie. Conkers. Du sagtest, Wee Jock Miller sei in der Stadt, und das hilft uns weiter. Wir brauchen Zeit für die Proben, und wir brauchen eine besondere Ausrüstung, die niemanden auf unsere Spur bringen kann. Darum kann sich Fraser kümmern. Es ist nur ein organisatorisches Problem, und wir haben keine Zeit …»
Sie hatte das Kinn jetzt auf die verschränkten Hände gelegt und dachte so angestrengt nach, daß sich ein paar Falten auf ihrer Stirn zeigten. Willie Garvin sagte nichts. Er setzte sich und wartete. Er schaute sie an und war höchst zufrieden. Er liebte es, sie anzuschauen, wenn ihr Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Ihre dunkelblauen Augen wurden noch dunkler, beinahe schwarz, und der Kopf und der lange, grazile Hals waren auf eine ganz bestimmte Weise geneigt. Schon bald würde sie ihm den Plan skizzieren, und dann würden sie die Einzelheiten ausarbeiten. Conkers? Was, zum Teufel, hatte sie wieder ausgeheckt?
Zwei Minuten verstrichen. Dann sagte sie: «Also hör zu, Willie …»
4
Adrian Chance saß in dem tiefen Sessel am verhangenen Fenster des Arbeitszimmers. Ein 357-Colt-Revolver lag in Reichweite auf dem kleinen Tisch neben einem halbvollen Glas Whisky mit viel Soda, dem einzigen Drink für den Rest der Nacht.
Es war Viertel nach drei, und er hatte eben Jacko
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