Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
sie im Bett lag und die vom Mond erleuchteten Ritzen der Jalousie betrachtete. Sie haben drei Autos und einen Landrover. Ich habe sie öfter gesehen, und ich bin verdammt sicher, daß sie sie über Nacht nicht fahruntüchtig machen. Ich werde den Landrover nehmen und die Zündung kurzschließen. Dieser Feldweg zur Grenze könnte für einen normalen Wagen ein bißchen strapaziös sein. Er läuft über einen hohen Bergrücken. Ich kann mich jetzt daran erinnern; ich sah es auf der Karte, die Tarrant uns gegeben hat. Aber wenigstens ist die Fahrspur markiert, so daß wir mit dem Landrover schon durchkommen müßten. Die anderen Wagen werden wir besser unbrauchbar machen. Vielleicht haben sie drüben auf dem Farmgelände noch andere Fahrzeuge, aber es wird etwas länger dauern, bis sie die auf die Straße bekommen. Ich war heute nacht ganz gut. Ich mußte eine Generalprobe machen, um mich zu testen, aber es war alles in Ordnung. Ich muß diesen Dreck aus meinem Kreislauf herausbekommen haben.
Also, nächste Nacht geht’s los. Wünsch mir Glück, Willie.
Niemand antwortete ihr aus der Dunkelheit.
Lisa lag wach. Der Schmerz in ihrem Bauch war stärker geworden, wilder, aber es war nicht nur das, was sie wachhielt. Das Brennen schien weit weg, als gehöre es zu irgendeinem schattenhaften Gegenstück ihrer selbst.
Mit fest geschlossenen Augen und steifem Körper lauschte sie den Stimmen, und bis auf den Grund ihrer Seele wurde sie von Entsetzen und Zweifel geschüttelt.
Eine Stunde lang hatten sie letzte Nacht zu ihr gesprochen, hatten immer wieder denselben leidenschaftslosen Singsang rezitiert, so wie sie einmal im antiken Theater von Epidauros einen griechischen Chor seine Botschaft hatte rezitieren hören.
Die geflüsterten Instruktionen, die die Stimmen für sie hatten, ihre Ermahnungen und Befehle, waren furchtbarer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Auch die Stimmen selbst hatten sich verändert.
Die Wortwahl, die Art des Vortrags und die Formulierungen waren dieselben oder beinahe dieselben wie bisher, aber ein rauherer Unterton, ein ungeduldiges Drängen färbte ihre gemessene Monotonie. Doch das war verständlich, denn die Botschaft ihres Singsangs änderte eine Situation, die sie für unveränderlich gehalten hatte.
…
Brunel muß sterben, Lisa. Du bist auserwählt. Brunel ist jetzt ein Feind. Du bist unser Kind und unsere Schülerin
.
Brunel muß sterben, und du bist auserwählt. Das ist ein Privileg und eine Ehre für dich. Das ist dein Weg zum Seelenfrieden. Alle Schwachheit der Vergangenheit wird dir vergeben, alle Sünden werden von dir genommen. Brunel ist jetzt ein Feind. Das Böse hat sich seiner Seele bemächtigt. Er sinnt auf deine Vernichtung. Aber du bist unser Kind, und wir sind deine Schutzengel. Er muß durch das Messer sterben, und du bist dafür auserwählt. Im Gehorsam gegenüber uns wirst du deinen Frieden finden. Es gibt keinen anderen Weg als den, der über uns führt. Brunel muß durch das Messer sterben. Das Messer liegt unter dem Kopfende deines Bettes. Der Zeitpunkt, an dem du es tun wirst, ist bestimmt
.
Du wirst ihn nicht selbst wählen, sondern wir werden ihn für dich wählen. Es soll nicht unter freiem Himmel geschehen, sondern zwischen vier Wänden. Der Augenblick wird da sein, wenn er das nächste Mal auf dir liegt. Wenn Brunel das nächste Mal auf dir liegt, muß er durch das Messer in deiner Hand sterben. Laß keine Angst und keinen Zweifel in dein Herz. Brunel ist jetzt ein Feind und muß sterben, Lisa. Du bist auserwählt …
Obwohl sie in ihrem Zimmer auf und ab ging, obwohl sie sich die Ohren zuhielt, sangen die Stimmen in ihrem Kopf weiter, bis ihre Worte sich tief in ihr Bewußtsein gegraben hatten. Eine Stunde lang hatten sie letzte Nacht zu ihr gesprochen, und jetzt waren sie wieder da. Sie hatte nach dem Messer geschaut, und sie hatte es gefunden, unter der Matratze am Kopfende ihres Bettes, ein Stilett mit einer langen, nadelspitzen Klinge.
Sie hatte sich davor gefürchtet, Brunel könnte während des vergangenen Tages oder in der Nacht zu ihr kommen, doch als er nicht kam, war ihre Qual nur noch schlimmer geworden, denn sie wußte, daß das nur ein Aufschub war, daß der Augenblick sich im Strom der Zeit noch immer auf sie zu bewegte. Sie hatte das Messer unter ihr Kopfkissen gelegt und auf den Hohenpriester der Stimmen gewartet, der jetzt unglaublicherweise ein Feind geworden war. Aber in all den Stunden, seit die Stimmen zum erstenmal
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