Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Krisensituation. Für gewöhnlich geht die Kommunikation mit dem Londoner Büro mittels Kurier über das Büro in West-Berlin.»
Das Londoner Büro hatte sich nach West-Berlin begeben. Tarrant selbst war im Augenblick dort. Aber das sagte Modesty nicht. Ein Spion erhält nur ungern mehr Information, als für seinen Job notwendig ist. Sie sagte:
«Ich habe für diesen Auftrag ein neues Kommunikationssystem ausgearbeitet. Ich werde es Ihnen erklären, nachdem wir Okubo gesehen haben. Heute abend sind Sie ihn los.»
Toller sagte mit Nachdruck: «Gott sei Dank. Er ist ein mühsamer Kerl. In den letzten zehn Tagen habe ich mehr Angst ausgestanden als in den letzten zehn Jahren.»
Okubo befand sich in einem kleinen Raum im ersten Stock; die Fensterläden des Hoffensters waren geschlossen. Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Stuhl, einem einfachen Tisch und einer alten Kommode. Auf der Kommode standen ein Waschbecken und ein großer Wasserkrug aus Porzellan. Okubo lag auf dem Bett und rauchte. Er trug einen zerknitterten blauen Anzug und war sehr klein, aber gut proportioniert. Er hatte dunkles, glattes Haar und die Andeutung eines Schnurrbarts, dessen Haare man beinahe zählen konnte. Seine Augen blickten unfreundlich und arrogant.
Er setzte sich auf und sagte in einem fließenden zwitschernden Englisch mit betont amerikanischem Akzent: «Sind das die Leute, Toller? Ich fragte mich bereits, ob sie überhaupt existieren.»
«Die Situation ist nicht einfach für sie», sagte Toller.
Es klang, als hätte er das gleiche schon oft gesagt.
Okubo sah durch Modesty hindurch, als wäre sie Luft, dann starrte er Willie an. In seinem Blick lag keine Wärme. «Sie werden mir Ihren Plan erklären.»
«Er ist einfach –» sagte Modesty.
«Ich sprach nicht mit Ihnen», unterbrach Okubo, ohne sie anzusehen. Willie Garvin steckte die Hände in die Taschen, und Modesty sah, wie seine Augen hinter der Brille aus Fensterglas einen Augenblick lang eisig wurden, während er die aufsteigende Wut unterdrückte. Toller hatte nicht übertrieben, als er sagte, Okubo sei schwierig. Er war der beste Virenspezialist der Welt, und entsprechend gesucht, das wußte er nur zu gut. Zu seiner beruflichen Arroganz kam die traditionelle Einstellung des japanischen Mannes gegenüber der Frau.
Okubo würde sich niemals damit abfinden, daß eine Frau diese Operation leitete.
Sie fing Willies Blick auf. Er übernahm und sagte ohne seinen üblichen Cockney-Akzent: «Wir nützen eine Gelegenheit, die sich zufällig bietet. De Souta ist diese Woche in Berlin –»
«De Souta?»
«Ein Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen, der U Thant vertritt. Er wird auf beiden Seiten der Mauer mit den lokalen Behörden Gespräche führen, in der Absicht, die Spannungen abzubauen …»
Okubo zog verächtlich die Mundwinkel herab. Seine Reaktion war berechtigt. De Soutas Bemühungen waren sinnlos. Das wußte er zweifellos selbst, aber er war ein pflichtbewußter Mann und hatte im Laufe seiner Friedensbemühungen in den verschiedenen Weltteilen geduldig Niederlage um Niederlage hingenommen.
Willie sagte: «Er wohnt hier in seiner Botschaft, und die Gespräche finden stets in einer bestimmten Reihenfolge statt. West-Berlin am Morgen, Ost-Berlin am Nachmittag. Jeden Tag um neun Uhr passiert er in seinem Wagen mit Chauffeur den Checkpoint. Die Wachen kennen das Auto. Sie sehen bloß nach, ob er drin ist, und lassen ihn durch. Es ist das einzige Auto, das nicht kontrolliert wird. Morgen werden Sie im Kofferraum sein. Es ist ein Daimler, also werden Sie genügend Platz haben.»
Okubo warf seine Zigarette auf den Boden. Toller trat sie aus. «Sie sind verrückt», sagte Okubo. «Ein Vertreter der Vereinten Nationen wird sich niemals darauf einlassen.»
«Er wird es nicht wissen», sagte Willie. «Der Wagen steht in einer verschlossenen Garage nahe der Botschaft, wir haben im selben Block eine Garage gemietet. Alles wurde ausprobiert, und es klappt. Um acht Uhr bringen wir Sie zur Garage, und Sie legen sich in den Kofferraum. Dort werden Sie bloß eine Stunde warten müssen. Letzte Nacht bohrte ich ein paar Luftlöcher in den Boden. Das Auto hält vor dem
Hilton
. Dort trifft De Souta mit Bürgermeister Klaus Schütz zusammen, um informelle Gespräche zu führen. Sie warten fünf Minuten, dann steigen Sie aus. Ich habe das Schloß so präpariert, daß Sie es von innen öffnen können. Einer unserer Männer wird dort auf Sie warten.»
Okubo zündete eine
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