Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
lieber sind als hundert Prozent der meisten Mädchen.
Wenn man es genau nimmt, bewundere ich sie mächtig; was kann ein halbes Bein daran ändern? Man müßte doch sehr dumm sein, wenn man bloß Leute bewunderte, die nicht bei einem scheußlichen Unfall verletzt wurden.
Was uns endlich näherbrachte, war die Entdeckung, daß eine kleine Erpresserbande aufs Land gekommen war und nach bequemen Opfern suchte. Lady Janet schien solch ein geeignetes Opfer zu sein. Als sie sich weigerte zu zahlen, begannen sie mit jenen Störmanövern, die eine Farm an den Bettelstab bringen können.
Also mischte ich mich ein. Ging zu ihr und versprach zu helfen. Für einen Nachbarn eine natürliche Sache. Zuerst war sie recht hochmütig, aber ich fühlte, daß sie innerlich kaum mehr weiterkonnte. Als sie begriff, daß mein Angebot ernst gemeint war, weinte sie ein paar Sekunden, bevor sie sich wieder in den Griff bekam. Dann sorgte sie sich, daß ich verletzt werden könnte, und ich mußte ihr erklären, daß ich in diesen Dingen nicht eben ein Anfänger bin.
Eigentlich war es kein sehr aufregendes Abenteuer.
Ich ging zum Anführer der Bande, der in den meisten mir bekannten Banden nicht einmal an siebenter Stelle rangiert hätte. Ich fuhr nicht gleich mit schwerem Geschütz auf. Nach meiner jahrelangen Arbeit mit der Prinzessin wußte ich um die Technik dieser Spiele Bescheid. Ich sagte ihm bloß, er solle aufhören oder – Natürlich schickte er seine Schläger aus, um mich fertigzumachen. Es kamen drei, und sie landeten alle drei im Spital. Dann ging ich wieder zum Boss, verfrachtete ihn in einen Lieferwagen und brachte ihn auf die Farm.
Er war fett und schwammig, und ich ließ ihn schuften wie einen Sklaven; von morgens bis abends mußte er Dreck schaufeln und in einer versperrten kleinen Hütte auf einem Strohsack schlafen.
Es brachte ihn fast um, aber er wurde auch ein anderer. Eine Woche, nachdem ich ihn hatte laufenlassen, gab es eine Menge Regen, und Janet erhielt einen Brief von ihm, in dem er schrieb: Ihre Ladyship möge entschuldigen, daß er sie daran erinnere, den Abzugskanal am Südende des Talbodens im Auge zu behalten, weil er sich leicht verstopfte und eine Überschwemmung verursachen könne.
Jedenfalls mußte ich einen Monat auf der Farm verbringen, um ihn an der Kandare zu halten. Vorerst wohnte ich in einem der Bauernhäuser, doch nach einer Woche übersiedelte ich in das große Gutshaus zu Lady Janet, und wir stellten fest, daß wir gut zueinander paßten. Wir haben keine feste Bindung und wissen, daß wir niemals eine haben werden. Jetzt, wo sie ihre Komplexe wegen des Beins überwunden hat, wird sie vermutlich eines Tages einen netten Kerl treffen und wieder heiraten. Sie wird mir sehr abgehen, also hoffe ich, daß es nicht allzu bald sein wird.
An dem Abend, von dem ich erzählen will, war ich eben aus den Staaten zurückgekehrt und erst seit drei Tagen wieder im Land. Es war das erste Mal, daß wir uns nach meiner Rückkehr treffen sollten. Wir hatten unser Rendezvous telefonisch vereinbart; nach der Sperrstunde wollten wir in die Stadt fahren, in eine späte Kinovorstellung gehen und dann in einen Nachtclub. Mir sagen Nachtclubs nicht viel, aber für Janet sind sie eine lustige Abwechslung, und jetzt, wo Hosenanzüge Mode sind, macht ihr ein solcher Abend Spaß.
Wir plauderten ein wenig über die Farm und was ich in den Staaten erlebt hatte, und dann – etwa zehn Minuten vor der Sperrstunde – kam Doris zu mir und sagte, ein Mann am anderen Ende der Bar habe nach mir gefragt. Ich entschuldigte mich bei Janet und ging zu ihm.
Er war ungefähr achtunddreißig, gutgeschnittener Anzug, kein Mantel, graue Augen und sandfarbenes Haar, das da und dort etwas spärlich wurde. Er hatte eine lange Unterlippe und ein sonderbar verkniffenes Lächeln. Ich spürte, wie sich mir die Haare im Nacken sträubten; dieser Kerl war gefährlich. Ich lächelte ihn besonders freundlich an, wie ich es bei dieser Sorte immer zu tun pflege, und sagte: «Was kann ich für Sie tun?»
«Ich möchte gern allein mit Ihnen sprechen, Mr. Garvin. Mein Name ist Fitch.» Er hatte eine sehr leise Stimme mit einem Anflug von Irisch, überlagert von etwas Amerikanisch. Das Amerikanische lag mehr in der Betonung als im Akzent, wie man es sich eben angewöhnt, wenn man eine Weile drüben gelebt hat.
Ich prägte mir den Tonfall ein, um ihn vielleicht später einmal zu gebrauchen. Ich kann die meisten Stimmen nachahmen – von der BBC bis
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