Modesty Blaise 08: Heiße Nächte für die Lady
Streß, Konkurrenzkampf, Statusneid, Steuerärger. Du kennst das. In Limbo hat man keine Probleme. O ja, man kann müde, sauer oder unglücklich sein, jeder hat ab und an auch einen schlechten Tag – immer dann, wenn er einmal nicht nur an das Heute denkt und von der vollen Erkenntnis getroffen wird, für immer in Limbo zu sein. Aber das geht vorüber.» Er blickte auf die Uhr. «Ich glaube, neunzig Prozent der Leute hier hätten einfach ein wenig Angst davor, jetzt wieder in die Welt draußen gestoßen zu werden.»
Sie hatte ihr Haar gekämmt und flocht sich einen Zopf, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, beobachtend. «Fühlst du dich auch so, Kim?»
«Ein wenig schon. Schau mal, Modesty. Ich habe keine Geldprobleme, meine Arbeit gefällt mir, und ich bin ein privilegiertes Mitglied dieser Gemeinschaft. Was geschieht mit mir, wenn ich nach draußen zurückkehre?»
«Willst du damit sagen, daß du gar nicht willst?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein. Ich sage lediglich, daß ich mich ein wenig davor fürchte. Ich müßte mich auch dort wieder assimilieren, Modesty. Ich nehme an, es ist so etwas wie ein Big-Brother-Syndrom. Wenn man zu lange unter Beobachtung gestanden hat, verliert man etwas von seinen geistigen Kraftreserven. Aber ich will hier raus, meine Süße, mein Gott, ich will verdammt hier raus. Ich wünsche mir all das, woran ich sechs Jahre lang nicht zu denken wagte.»
Sie begann mit dem anderen Zopf und fragte:
«Mit wem kann ich offen reden außer mit dir und Danny?»
«Du meinst, wem du ohne Gefahr sagen kannst, daß du absichtlich hierhergekommen bist und einen Ausbruch oder eine Rettungsaktion vorhast?»
«Ja.»
«Schultz und Mrs. Schultz, Marker, Teresa, ihren anderen Namen habe ich vergessen. Sie war eine italienische Filmschauspielerin.»
«Teresa Labriola? Die angeblich vor Capri ertrunken ist?»
«Das ist sie. Sie ist bissig, aber sie hat noch Feuer im Blut. Und dann noch Valdez. Ich kann dir nicht sagen, wie die anderen reagieren, wenn es zur Krise kommt. Ich glaube, es ist besser, sie wissen nichts über dich, bis die Krise wirklich da ist. Keiner würde singen, aber du würdest eine Menge Schwierigkeiten bekommen.» Er blickte erneut auf die Uhr.
Sie sagte: «Die Krise wird nicht von selbst eintreten, Kim. Eines Tages müssen wir uns erheben und Limbo in unsere Gewalt bekommen. Werden diejenigen, die du mir nanntest, wirklich kämpfen?»
«Marker ja, und ich nehme an, du kannst auf Danny zählen, obgleich er sagt, daß er kein Mann des Kampfes ist. Das ist überhaupt das Schlimmste. Keiner von uns ist ein Mann des Kampfs.»
«Jeder kämpft, wenn er verzweifelt genug ist.»
«Ja, aber sie sind es nicht, aus den Gründen, die ich dir genannt habe.» Er trat dicht an sie heran und fügte leise hinzu: «Und sie werden es auch nicht sein, bis es verdammt zu spät ist, Modesty. Die alte Frau, die du bald sehen wirst, Miss Benita, könnte sehr bald sterben, heute nacht schon, oder innerhalb der nächsten sechs Monate. Keinesfalls später, meiner Meinung nach. Wenn das geschieht …» Er ahmte mit der Hand eine fallende Axt nach. «Dann gehen wir mit ihr.»
«Werden die Spezialen nicht vor einem Massenmord zurückschrecken?»
«Die Spezialen sind auch assimiliert. Wir sind Sklaven, meine Dame. Vor kaum mehr als hundert Jahren konnte man einen Nigger völlig legal töten, genauso selbstverständlich wie man ein Schwein schlachtet.» Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte. «Ich will hier kein altes Argument aufs Tapet bringen. Ich will dir nur zeigen, wie uns die Spezialen sehen. Der Tag, an dem Miss Benita stirbt, wird der letzte Tag für uns alle in Limbo sein.»
«Also geht es hier darum, zuerst zuzuschlagen. Es muß sein.»
Er zuckte die Achseln. «Ich weiß das, ebenso wissen es die anderen, die ich genannt habe. Aber irgendwie sind wir nicht fähig, entsprechend zu handeln. Wir sind in Limbo, wo man nicht an das Morgen denkt.»
Modesty schien völlig gelassen und blickte ihn teilnahmslos an, und ihn ergriff plötzlich ein Gefühl der Verwirrung, als wäre er soeben aus einem eigenartigen Traum erwacht. Eben noch hatte er Vertrauen verspürt, aber das war jetzt verschwunden. Dieses unscheinbare Mädchen mit den Zöpfen und dem ruhigen, hübschen Gesicht konnte auf Limbo nicht mehr Wirkung ausüben als eine Feder, die vom Himmel fiel, ganz gleich, was Danny Chavasse auch sagte. Es war ein Wunschtraum, und nur ein Narr konnte Hoffnung daraus schöpfen.
Doch
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