Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
ein
bait-at-ta’ah
.«
Er hob den Kopf, sah sich um und nickte. Sie hatte jetzt eine Hose angezogen und schloss ihren Büstenhalter. Er kroch umher, suchte nach seinen Kleidern und begann die Taschen, die Säume, die Ärmel und den Gürtel zu untersuchen. Seufzend stand er schließlich auf, um ein Hemd und Shorts anzuziehen. »Sie haben uns ziemlich gründlich durchsucht, Prinzessin.«
»Ja.« Sie knöpfte ihre Bluse zu. »Ich besitze praktisch nichts mehr. Keinen Kongo, keinen Gasbleistift, keinen Draht, keinen Dietrich.«
Willie schnitt eine Grimasse. Allmählich konnte er wieder klar denken, aber auch das war nicht sehr tröstlich. Wann immer sie sich in Gefahr begaben, hatten sie, abgesehen von Handfeuerwaffen, eine Anzahl nützlicher Dinge bei sich. Das Futteral mit seinen beiden Wurfmessern war verschwunden und ebenso die kleine Phiole mit den betäubenden Nasenpfropfen, die Rasierklinge in der Streichholzschachtel, die verschiedenen Sonden in seinem Gürtel und die Stiefel mit den abnehmbaren Spezialabsätzen, die man zu winzigen Granaten umfunktionieren konnte. Auch Modestys Stiefel mit den kleinen verborgenen Waffen waren nicht mehr da. Man hatte ihnen aus ihrem Gepäck andere Schuhe auf den Boden geworfen.
Willie trug am Mittelfinger einen einfachen Silberring. Wenn man ihn abnahm und seitlich fest eindrückte, teilte er sich in zwei dünnere Ringe, die zum Teil hohl waren und ein paar Zentimeter Draht enthielten; Wolframdraht, mit einer Silikonkarbidpaste überzogen.
Ein ausgezeichnetes Werkzeug zum Metallschneiden, zum Beispiel Gitterstäbe. Leider gab es hier nichts, wofür man den Draht benutzen konnte. Mit Daumen und Finger fuhr Willie entlang des Gürtelbandes seiner Hose und spürte die Nylonschnüre, die man übersehen hatte. Im Augenblick waren sie allerdings ebenso unnütz wie der flexible Metallschneider.
Er fuhr mit der Zunge über seine Zähne, schüttelte sich und ging in den kleinen Raum, um von der Leitung zu trinken, zu gurgeln und Gesicht und Hals zu waschen. Als er heraustrat, saß Modesty mit dem Rücken zur Wand gegenüber der Tür, ihre Arme ruhten auf den angezogenen Knien. Willie setzte sich zu ihr, und sie sagte leise: »Wenn jemand hereinkommt, werde ich Magenschmerzen haben. Versuch nicht, einen Wächter zu überwältigen, auch wenn sich eine Gelegenheit bietet. Solang wir nicht wissen, wie es hier aussieht, haben wir keine Chance. Aber die Magenkrämpfe könnten für später nützlich sein.«
»Gut, Prinzessin.«
Schweigend saßen sie da. Im Moment gab es nichts zu besprechen. Weder Selbstvorwürfe wegen ihrer Gefangennahme noch Vermutungen über die Zukunft waren zielführend. Aus irgendeinem Grund hatte man sie bis jetzt leben lassen. Daraus würde sich etwas ergeben, aber der nächste Schachzug kam vom Gegner.
Entspannt saßen sie da, atmeten regelmäßig und suchten ihr mentales Gleichgewicht zu erhalten. Nach einer Weile wandte Willie seine Aufmerksamkeit der Tür zu, besonders der Stelle, wo außen das Schloss angebracht war. Er betrachtete sie wohlwollend und freundlich. Es mochte eine Zeit kommen, wo ihn diese Tür und dieses Schloss sehr beschäftigen konnten, und mit dem Leblosen eine enge Beziehung herzustellen, erwies sich, wenn es zu einer Interaktion zwischen Mensch und Materie kommen sollte, oft als lohnend. Vielleicht kam die scheinbare Reaktion des Leblosen ausschließlich von ihm selbst und war eine subjektive Empfindung.
Vielleicht aber auch nicht. Es war etwas, was er vor langer Zeit mit viel Skepsis von Modesty gelernt hatte.
Und es funktionierte.
Eine halbe Stunde später hörten sie hinter der Tür ein Geräusch. Als die Tür aufging, kauerte Modesty, die Hände an den Magen gepresst, auf dem Boden.
Willie kniete besorgt neben ihr. In der Tür stand ein weißgekleideter Araber, die Maschinenpistole im Anschlag. Er sah die zwei Gefangenen an, trat zurück und winkte jemandem hinter ihm. Modesty hob den Kopf.
Beide, sie und Willie, betrachteten prüfend das Türschloss, ein Zapfenschloss mit einer durchbohrten Stahlplatte am Türpfosten, um den Zapfen aufzunehmen.
Hinter dem Araber kam ein Mann mit einer alten Ledertasche hervor und betrat den Raum. Sekundenlang starrte ihn Modesty verständnislos an, dann drehte sie plötzlich den Kopf und schrie aufgeregt, wie zu Willie gewandt: »Sag kein Wort, Giles, kein einziges Wort.« Sie endete mit einem wimmernden Aufschrei und ließ sich seitwärts auf den Boden fallen.
Giles Pennyfeathers Mund
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