Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
dreißig Sekunden, bis Riza wieder nach Luft schnappen konnte, und nach einer weiteren Minute brachte ihn Krolli mit sichtlichem Widerwillen zurück in die Messe, wo er verkündete: »Angeblich hat er sich auf einmal an alles erinnert, was du wissen willst, Mam’selle, aber falls du das Gefühl haben solltest, daß er dich anlügt, dann kann ich ihm ja noch eine Zeitlang Feuer unter dem Hintern machen, bevor ich ihn ins Meer schmeiße.«
Riza erschauerte und schrie heiser auf: »Nein, nein, ich werde Sie nicht anlügen! Der da ist ein amerikanischer Spion. Er ist vor drei oder vier Monaten zu uns gekommen, mit einer glaubwürdigen Geschichte, aber Bora ist immer sehr vorsichtig und hat ihn ein bißchen überprüft. Die Geschichte war falsch, also hat Bora den Mann zwar auf der
Isparta
mitfahren lassen, aber dann hat er ihn zum Sprechen bringen wollen. Erst mit vielen Schlägen, und als er stumm blieb, hat Bora dann eine Spritze mit Penthotal genommen. Er leistete trotzdem noch Widerstand, und was er gesagt hat, war sehr verworren und ergab keinen Sinn, aber immerhin haben wir herausgefunden, daß er allein gearbeitet hatte, also bestand für die Reise keine Gefahr. Das war das einzige, was Bora wissen wollte.«
»Wer hat ihn geschlagen?«
»Das war Bora selbst, mit einer Eisenstange. Er war sehr wütend auf ihn.«
»Warum ist er im Schrank eingesperrt worden, wenn ihr ihn ins Meer werfen wolltet?«
»Weil Bora geglaubt hat, er würde vielleicht am Morgen noch leben und so weit bei Bewußtsein sein, daß er merken könnte, was mit ihm geschieht, wenn er über Bord fliegt. Das hätte Bora mehr Spaß gemacht, verstehen Sie?«
Sie blickte von ihrer Arbeit mit dem Verband auf, und Riza erschauderte wieder, denn ihre Augen schienen so kalt und schwarz wie die Leere des Weltalls zu sein, und doch brannte in ihnen ein kaum sichtbarer Funke der Verachtung. »Ja, ich verstehe«, murmelte sie.
»Habt ihr den Namen des Mannes erfahren?«
»Den Namen? Ja. Er sagte ihn unter dem Einfluß des Penthotals, weil er einige Zeit lang glaubte, er hätte seinen Auftrag beendet und würde einen … wie sagt man? … ah ja, einen Einsatzbericht abgeben. Sein Name ist Ben Christie.«
»Na gut, Krollie«, sagte sie. »Schaff ihn weg und schick Willie zu mir herein.«
Drei Minuten später war sie mit dem Verband fast fertig, als Willie durch die Tür kam und sie ansprach:
»Krolli hat mir schon erzählt. Scheint so, als wäre das der Mann vom BNDD, von dem Lensk gesprochen hat.«
»Oder er ist vom CIA.« Sie wischte dem Mann mit einem Bausch feuchter Watte die Stirn ab. »Ich glaube nicht, daß die Leute von der Rauschgiftbehörde einen ihrer Agenten direkt in die Organisation einschleusen würden. Er ist wahrscheinlich vom Nachrichtendienst für diesen Job abkommandiert worden. Setz dich mal ans Funkgerät und sprich mit dem Doc auf der
Almarza
, aber benütze den Code. Sag’ ihm, wir bringen ihm einen Mann mit einem Schädelbruch, und er soll sich so gut wie möglich um ihn kümmern. Würdest du den Transport bitte selbst überwachen, Willie? Ich will den Mann unbedingt retten, wenn es irgendwie geht.«
Willie hob fragend eine Augenbraue. »Machst du dir wegen der Sache Gedanken, Prinzessin?«
»Ja, ein bißchen. Wenn Lensk gewußt hat, daß dieser Agent auf Bora angesetzt war, dann können es andere ebenfalls gewußt haben, also ist es nicht verwunderlich, daß seine Tarnung bei Bora nicht funktioniert hat. Wenn ich etwas umsichtiger gewesen wäre, dann hätte ich McGovern gewarnt, und der Mann wäre abgezogen worden.« McGovern war der Verbindungsmann des CIA in Rabat.
»Mac hätte dir zwar zugehört, aber ich möchte bezweifeln, daß er in seinem Hauptquartier in Langley Gehör gefunden hätte, und von da kommen die Befehle schließlich her. Nein, ich glaube nicht, daß du den Lauf der Dinge irgendwie hättest ändern können, Prinzessin.«
Sie blickte auf das eingefallene graue Gesicht hinunter und zog dann eine Grimasse. »Ja, ich glaube, da hast du recht.«
Im Osten waren bereits die ersten Schimmer der Morgendämmerung zu ahnen, als sie wieder auf dem Oberdeck stand und zusah, wie die in Decken eingehüllte Gestalt auf der Tragbahre in eines der Motorboote hinuntergelassen wurde. Sie hatte zwar erwogen, dem ohnmächtigen Mann die Belastung der kurzen Überfahrt zu ersparen und statt dessen Doc Howie herkommen zu lassen, dagegen sprach jedoch, daß die
Almarza
über ein kleines Behandlungszimmer verfügte, das für
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