Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
Körper bestand aus einem Netzgeflecht von Muskeln und Sehnen, das die Härte von Teakholz mit der Flexibilität von Fischbein verband. Er trug keine Waffe, aber seine Hände konnten einen Knochen ebenso mühelos wie einen Ziegelstein zerbrechen, und seine Schuhspitzen waren mit Stahlkappen verstärkt.
Er hatte mit seinem Bruder die Möglichkeit einer Falle erwogen, als der Engländer seinen Rover auf dieses verlassene Grundstück gelenkt hatte, aber eine Falle war hier kaum denkbar. Wenn der Engländer gemerkt hatte, daß er beschattet wurde, dann konnte das erst heute nachmittag geschehen sein, also hatte er keine Zeit, so schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen, nicht bei der üblichen Vorgangsweise der Engländer. Und wie Mikolaj gemeint hatte, selbst wenn dieser Tarrant hier ein paar Polizisten postiert hätte, was konnten die schon unternehmen? Er und sein Bruder übertraten ja kein Gesetz – nicht bis zu dem Moment, da sie ihr Opfer töteten, und sollten sie hier auf Polizei treffen, dann eben ein andermal. Es war allerdings eher wahrscheinlich, daß der Engländer in diesem Haus ein geheimes Treffen mit einem seiner Agenten vorhatte; in diesem Falle würde der andere gleichfalls sterben müssen.
Zygmunt blieb kurz stehen, um die Umgebung zu mustern, dann ging er auf die Treppe zu, die er in der hinteren Ecke bemerkt hatte; dabei bewegte er sich im Zickzack, um hinter jene Pfeiler zu sehen, wo der Engländer auf der Lauer liegen könnte. Er war noch etwa zehn Schritte von der Treppe entfernt, als sich ein Mann in dunkler Kleidung aus dem Schatten der Treppenverkleidung löste, ein großer, blonder Mann mit ruhigen Augen und leeren Händen. Nichts an ihm schien auf eine Bedrohung hinzuweisen, aber Zygmunt spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufstellten, und wußte, daß er einen Feind vor sich hatte.
Der Mann fragte seltsam unbeteiligt: »Welcher von euch beiden bist du? Zyg oder Mik?«
Zygmunt verlagerte seinen Körper unauffällig in eine Bereitschaftsstellung. »Wer will denn das wissen?«, fragte er. »Garvin. Willie Garvin heiße ich.«
Zygmunt fühlte seinen Puls vor Freude schneller schlagen. Er und sein Bruder hatten schon viele Geschichten von diesem Mann gehört, der angeblich so gefährlich war und der trotzdem wie ein Hund am Rockzipfel dieser Frau, dieser Modesty Blaise, hing.
Man erzählte sich, daß er im Nahkampf ausgezeichnet war und mit dem Wurfmesser unübertroffen. Die erste Behauptung störte Zygmunt nicht weiter, aus der zweiten allerdings ergab sich die Notwendigkeit zur Vorsicht.
»Garvin«, sagte Zygmunt. »Ah, ja. Der Mann mit den Messern.«
»Heute nicht. Ich wollte euch nur sagen, wenn ihr Tarrant haben wollt, dann müßt ihr zunächst an mir vorbeikommen.«
»Ich verstehe.«
Zygmunt sprang aus dem Stand ab, ohne jede Vorbereitung und ohne vorher einen leichten Anlauf zu nehmen. Er erreichte genau die richtige Höhe für den Tritt mit der Schuhspitze aufs Herz, der seinem Gegner sofort das Bewußtsein rauben würde und nach zwei Minuten den Tod zur Folge hätte. Zu seiner Überraschung saß der Tritt nicht voll und ging außerdem am Ziel vorbei, doch er hörte, wie Garvin aufstöhnte. Als er auf einem Bein landete, drehte er sich gerade noch rechtzeitig von der Hand weg, die wie eine Sense an ihm vorbeisauste, und konterte mit einem lähmenden Handkantenschlag auf den Bizeps. Wieder traf er sein Ziel nicht richtig, und nun stockte ihm für einen Moment der Atem, als Garvins Ellenbogen sich mit der rohen Gewalt eines weit ausholenden Hammerschlags an dem Muskelpanzer seiner Rippen versuchte.
Zygmunt trat einen Schritt zurück, sammelte all seine Körperkraft und Konzentrationsfähigkeit, dann wurde er zu einer Exekutionsmaschine, die mit atemberaubender Geschwindigkeit und auf mehr als zehn verschiedene Arten auf Garvin einhämmerte, wobei die Hände und Füße zu Speeren, Äxten und Keulen wurden, die alle gleich todbringend waren. Die Abwehrbewegungen seines Gegners kamen so schnell, daß er sie unmöglich bewußt berechnen konnte. Nur noch der Instinkt zählte, ein Instinkt, der durch endlose Übung und Erfahrung trainiert und geschärft worden war.
Nach zwanzig Sekunden spürte Zygmunt, daß er dem anderen eine blutende Wunde zugefügt hatte, ohne selbst ernstzunehmende Verletzungen erlitten zu haben. Garvins Kräfte ließen nach, und beim nächsten Angriff stolperte er und fiel auf den Rücken. Zygmunt sprang auf ihn zu, in einem leichten Bogen und immer auf
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