Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
abgeflaut war und das einzige Hintergrundgeräusch vom leisen Schwappen kleiner Wellen verursacht wurde. Sie war sich sicher, daß ihr kein Wort entgangen war, obwohl er scheinbar mitten in einem Satz anfing. In seiner stockenden Stimme schwang unendlicher Kummer mit.
»… eine Heroinsüchtige, die sie irgendwo aufgelesen hatten. Ein schwarzes Mädchen. Eigentlich noch ein Kind. Ich sollte sie umbringen … mit einer Machete umbringen, um den Test zu bestehen. Sie testen ihre Leute vorher, die
Watchmen
. Ich habe einfach keinen anderen Ausweg gesehen, um noch rechtzeitig von diesem Schiff wegzukommen … Casey vielleicht noch wegen der Brücke zu warnen.«
Sie spürte, wie er tief einatmete, und dann begann er zu schluchzen. Seine Worte hatten in ihr Entsetzen ausgelöst, deshalb legte sie ihm eine Hand an die Wange und beruhigte ihn. »Schon gut, Ben, schon gut. Ich bin bei dir, und es wird alles wieder gut werden. Ich bin Modesty. Erinnerst du dich?«
Er stammelte jedoch einfach weiter. »Und dann haben sie alle gelacht, weil sie es die ganze Zeit gewußt hatten … daß ich vom CIA bin. Modesty hat ihren Fehler zwar verteufelt schnell wieder gutgemacht, indem sie meinte, ich sähe ihrem Cousin so ähnlich … aber sie wußten es jedenfalls und haben mich trotzdem diesen Test machen lassen. Nur so zum Spaß, zum Spaß!«
»Der mit dem Bart heißt Oberon«, erklärte sie, »und wir sind vor vielen Jahren einmal zusammengetroffen. Deshalb ist es auch sinnlos gewesen, daß ich eine Verwechslung vorgetäuscht habe. Es tut mir leid, daß ich dich habe auffliegen lassen, Ben. Bitte entschuldige.«
»Dieses kleine Mädchen in dem Korb … eine Fixerin …«
Sie unterbrach ihn rasch: »Sie hätten sie niemals wieder gehen lassen, Ben. Sie war praktisch schon tot, als sie an Bord gebracht worden ist.«
Er sprach mit schmerzverzerrter Stimme. »Als es vorbei war … als sie alle lachten und sagten, sie wüßten, wer ich in Wirklichkeit bin, da hab ich versucht, ihn umzubringen, den einen, der sich John nannte … ich hatte ja immer noch die Machete. Aber Szabo war auf der Hut. Hat mir eine Kugel verpaßt.« Sie fühlte sein Entsetzen und seine inneren Qualen. Und sie wäre selbst genauso davon ergriffen worden, hätte sie nicht in ihrem Gehirn Barrieren dagegen aufgerichtet, um zu vermeiden, daß diese Gefühle ihr jede Energie nahmen.
»Sie wollen die Brücke in die Luft jagen«, stieß er plötzlich in Panik hervor. »Hunderte von Autos werden abstürzen …«
»Nein, wir haben sie doch daran gehindert. Weißt du das nicht mehr? Ich habe den Sender zu fassen bekommen und über Bord geworfen. Und dann hätte mich Szabo erschossen, wenn du dich nicht dazwischen geworfen hättest.«
»Szabo?« überlegte er langsam. »Warte mal. Ach ja. Du … du bist Modesty. Der Verband an deiner Hand war ein Trick, und du hast Hans damit erledigt. So ähnlich war es jedenfalls. Dann haben sie uns also nicht erwischt … ?«
»Nein. Die Barkasse ist zurückgekommen, und ich glaube, alle beiden Schiffe sind aufs offene Meer hinaus. Ben, ich möchte dir dafür danken, was du getan hast.«
»Du … schuldest mir doch keinen Dank. Ich weiß … weiß noch genau, wie …«
»Ben, du hast vorhin gerade die
Watchmen
erwähnt. Kannst du mir jetzt schnell alles sagen, was du über diese Organisation weißt? Wenn wir erst mal an Land sind, wirst du viel zu beschäftigt damit sein, die Kugeln aus dir herausoperieren zu lassen, einer von uns aber sollte imstande sein zu erzählen, was passiert ist.«
»Ja … klar. Sprich mit Casey. Tom Casey. Ein feiner Kerl. Mein Einsatzleiter. Seine Nummer ist 523-20-63. Ruf ihn an und erzähl ihm von der Brücke. Sie haben einen Ring aus … Hohlladungen um das Drahtseil ganz oben gelegt …«
»Darüber weiß ich schon alles, Ben. Oberon hat geredet.«
»Wer?«
»Der Chef da. Der mit dem Bart.«
»Ach so. Ich kannte nur seinen Decknamen, John. Kannst du … ihn verfolgen, Modesty?«
»Ich finde ihn, Ben.« Einen Moment lang ging ihr das Bild von einem schwarzen Mädchen in einem Korb durch den Kopf, und in ihr loderte Haß auf. Schnell verdrängte sie dieses Bild und ihren Haß. »Erzähl mir alles, was du weißt, Ben. Namen, Verbindungen, einfach alles.«
»In Ordnung, Modesty … mach ich.« Seine Stimme klang jetzt sehr angestrengt. »Bin ein bißchen müde. Laß mich nachdenken …«
Langsam und manchmal mit so langen Pausen zwischen den Sätzen, daß sie glaubte, er sei wieder bewußtlos
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