Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
Befehlsausgabe und Verwaltung gutgeheißen und eine Stunde mit Frayne, dem Sprengstoffexperten, verbracht, mit dem sie den Plan für die Versenkung der
Marimha
durchbesprochen hatten. Außerhalb der Arbeitsstunden war ihr Verhalten weder freundlich noch unfreundlich gewesen, ein wenig zurückgezogen vielleicht, ein wenig schweigsam, aber nicht feindselig.
Während sie nun am Tisch saßen, sprach Willie einige Worte mit Patel und beobachtete dabei unauffällig Modesty. Sie hatte gerade ihr Moussaka aufgegessen, und ihre rechte Hand lag neben der Kaffeekanne auf dem Tisch. Willie sah, daß der Zeigefinger zweimal auf den Tisch klopfte. Dann schloß sich die Hand zu einer lockeren Faust, drehte sich zur Seite, öffnete sich und blieb wieder mit der Handfläche nach unten liegen.
Der kleine Finger klopfte zweimal. Der Daumen bewegte sich seitwärts und wurde wieder zurückgezogen, dann trommelten Zeigefinger und Mittelfinger für ein paar Augenblicke ruhig auf den Tisch. Jede Bewegung war von zwangloser Natürlichkeit und hatte keine augenfällige Bedeutung.
Willie hob seine Hand und rieb sein rechtes Auge, um den Erhalt der Botschaft zu signalisieren. Also heute nacht um halb eins sollte es passieren. Seit ihrer ersten Instruktion durch Thaddeus Pilgrim waren ihre einzigen privaten Kommunikationsmittel unaufdringliche Hand- und Körpersignale gewesen, wie man sie im Kabarett und Varieté für Gedankenlesetricks verwendet. Sie hatten das System vor Jahren ausgearbeitet und übten es regelmäßig, falls sie es einmal brauchen sollten. Heute nacht um halb eins. Da würde Thaddeus Pilgrim den ›Tod auf Abruf‹-Funkspruch von Salamander Vier schon beantwortet haben, der Steve und Dinah Collier bis zum Mittag des nächsten Tages Sicherheit verschaffte. Willie hoffte, daß niemand die Schweißtropfen auf seiner Stirn bemerken würde, als er jetzt vom Tisch aufstand. Die Aussicht darauf, etwas zu unternehmen, erfüllte ihn mit Erleichterung, aber gleichzeitig hatte er auch große Angst, ein Gefühl, das er schon seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Willie Garvin war verunsichert, weil er wußte, daß er noch nicht ganz der alte war. Während des Kampfes im Hof gegen Sibyl Pray und Kazim hatte ihn das nicht beunruhigt, weil er da unter den Fittichen Modestys und als Einheit mit ihr agiert hatte. Heute nacht würde er auf sich allein gestellt eine Aufgabe ausführen müssen, und er wußte nicht, ob er dazu schon imstande war. Sie hatte ihn auf ganz unglaubliche Weise wieder zusammengeflickt, nach dem, was Tyl ihm angetan hatte.
Aber er wußte, daß er den Grad an völliger mentaler und physischer Harmonie mit sämtlichen an ihn gestellten Aufgaben erst noch erreichen mußte, um in der Lage zu sein, über sich hinauszuwachsen und die Grenzen seiner natürlichen Leistungsfähigkeit, so groß diese auch sein mochte, zu überschreiten.
Modesty hätte das verstanden, aber es wäre sinnlos gewesen, ihr das durch Signale mitzuteilen zu versuchen. Die Konfrontation mußte stattfinden, sagte er sich grimmig, und je länger er wartete, desto mehr würde sein angeknackstes Selbstvertrauen ihn behindern. Der letzte Rest von Dr. Tyls Manipulationen, der kleine Dämon, der immer noch in Willie Garvins Verstand lauerte, konnte nur dadurch ausgetrieben werden, daß man ihn besiegte.
Bonsu war an seiner Seite, als er über den Hof zur Waffenkammer ging, vorgeblich um Munition für die Schießübungen am Nachmittag vorzubereiten. Es war immer jemand an seiner Seite, und auch an der Modestys. Der Plan, den sie ihm in den letzten drei Tagen, seit ihnen die Leitung des Hallelujah-Szenariums übertragen worden war, übermittelt hatte, sah folgendermaßen aus: Diese Nacht um halb eins sollte er seinen Zellengenossen Zanelli außer Gefecht setzen, sich dann auf den Weg zur Waffenkammer machen, das Schloß aufbrechen, nach eigenem Ermessen eine Anzahl von Waffen herausholen, Plastikbomben mit Fünfzehn-Minuten-Zeitzünder legen und dann zur Funkstation kommen.
Modesty Blaise würde in der Zwischenzeit mit anderen Dingen beschäftigt sein. Zuerst mußte sie mit ihrer Zellengenossin Miss Johnson fertigwerden und anschließend eine Aufgabe durchführen, die sie sich selbst gestellt hatte. Nachdem Willie sie in der Funkstation abgeholt hatte, würden sie zum kleinen Hafen hinuntergehen. Die Sprengung der Waffenkammer sollte einen doppelten Zweck erfüllen. Zum einen würde sich die Zahl der GEA-Teams und ihren Hilfskräften zur Verfügung
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