Möhrchenprinz - Roman
in kürzester Zeit im Taxi sitzen können, wenn nicht ein freundlicher Zöllner zielstrebig auf Philip zugekommen wäre und ihn gebeten hätte, seinen Koffer zu öffnen.
»Darf ich fragen, warum Sie gerade meinen Koffer sehen wollen?«, fragte Philip genervt.
»Stichprobe, Herr Siebendt.«
Stichprobe, Herr Siebendt? Wer sollte das glauben? Der Zöllner hatte Herrn Siebendt zielgerichtet aus der Masse gefischt. Wer hatte ihn dazu wohl angestiftet? Mir rutschte das Herz in die Hose. Philips schlechte Laune hatte meinen Energievorrat bereits in bedenklichem Maße zum Abschmelzen gebracht und die Ahnung, die ich in den letzten Stunden entwickelt hatte, wurde hier und jetzt zur Gewissheit.
Auch diesmal war wieder jemand am Werk, der Strippen ziehen konnte wie kein Zweiter. Jemand, der eine krankhafte Fokussierung auf meinen Arbeitgeber hatte und alles tat, um ihm zu schaden. Jemand, der sich noch nicht einmalzu schade dafür war, Philip eine unnötige Zollkontrolle auf den Hals zu hetzen, nur um ihn zu ärgern.
Und dieser jemand war mein Bruder Daniel, daran hatte ich keinen Zweifel mehr.
»Geh nur, wir treffen uns am Ausgang«, sagte Philip und drängte mich weiter.
Ich konnte den Zollbereich unbehelligt verlassen und trat durch die automatischen Türen in die Ankunftshalle. Ich war müde, verschwitzt und schlecht gelaunt und hockte mich abseits der Menschenmassen auf meinen rosafarbenen Koffer. Was hatten wir gestern Abend noch über das unmögliche Ding gelacht! Philip hatte mir gestanden, dass er fast in Ohnmacht gefallen war, als er mich vor einer Woche mit dem Monster am Flughafen auftauchen sah. Dann hatte er mir das Versprechen abgenommen, dass er diesen Koffer nie im Leben wieder sehen müsste. Ich hatte es ihm feierlich gelobt. Und nun hockte ich hier und schämte mich nicht einmal mehr, so niedergeschlagen war ich über das enttäuschende Ende unserer schönen Reise. Und darüber, dass Philip sich in seinem Ärger vor mir verschloss.
Als er endlich aus dem Zollbereich kam, hatte seine Stimmung den absoluten Nullpunkt erreicht. Er winkte mir zu, dass ich ihm folgen solle, und stürmte zum Taxistand. Dort packte er meinen Koffer in den ersten Wagen, hielt mir die Tür auf, sagte: »In zwei Stunden im Büro«, warf die Tür zu und klopfte auf das Dach. Der Fahrer fuhr los. Ich hockte stumm auf dem Sitz und kämpfte mit den Tränen.
Die Wohnung war leer, wenigstens dieses Zugeständnis machte das Schicksal an diesem grässlichen Tag. Ich stellte den Koffer in mein Zimmer, duschte, zog mich um und machte mich auf den Weg ins Büro.
Josef empfing mich exakt zwei Stunden später mit sorgenvoller Miene.
»Der Junior hat schon nach Ihnen gefragt.«
»Ich gehe gleich zu ihm.«
»War denn die Reise wenigstens schön?«
Ich nickte, kämpfte aber schon wieder mit den Tränen. Die Verzauberung war vorbei, der Arbeitsalltag hatte mich schneller wieder als erwartet. Eigentlich hatte ich zwei Tage freihaben sollen nach der Rückkehr, denn wir waren über das Wochenende weg gewesen und zumindest offiziell handelte es sich bei der Reise ja um eine Geschäftsreise.
Ich hätte die freien Tage gut brauchen können, um mich von der Klimaumstellung zu erholen, meine Sachen in Ordnung zu bringen und meine Beziehung zu Philip außerhalb des Büros, also abends, ein bisschen zu festigen, bevor wir uns dann beruflich wieder begegneten. Alles hätte so schön sein können, wenn nicht irgendjemand während unserer Abwesenheit eine Kampagne gegen Siebendt gestartet hätte. Und dass dieser Jemand nur mein Bruder sein konnte, machte die ganze Sache noch hundertmal schlimmer.
Mitten auf Philips Besprechungstisch lagen zwei DIN-A4-Blätter. Ich ahnte nichts Gutes. Ich sah auf den ersten Blick, dass es sich um die aus einem Magazin gerissenen Seiten von ganzseitigen, vierfarbigen Hochglanzanzeigen handelte. Die linke Anzeige war unsere, die rechte war offensichtlich die der Gegenkampagne.
Als ich die beiden Motive näher betrachtete, wusste ich auch, warum Philip so sauer war.
Die Gegenkampagne war genial. Auf unser Motiv einer Oryx-Antilope in graziösem Lauf folgte ein Foto desselben Tiers – blutig und tot. Die Oryx-Antilope der Gegenkampagne hing an nur einem Hinterhuf von einem Kran, der auf einen Pick-up montiert war. Auf der Ladefläche desPick-ups lagen bereits weitere tote Tiere. Im unteren Drittel der Seite stand: Wollen Sie daran schuld sein?
Ich schluckte. Philip hatte meine Reaktion beobachtet und sah mich nun
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