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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wiedererkennen auslöste, das ich aber nicht zu fassen bekam. Dort war jemand gewesen, den zu sehen ich hier nicht erwartet hatte, aber mein Hirn hielt die Identität der Person vor mir geheim.
    Daniel war mit seinem Statement fertig und beantwortete Fragen der Journalisten. Er konnte Zahlen über denFleischkonsum nennen, über den Rückgang der Artenvielfalt und über die Zusammenhänge von fleischlastiger Ernährung und Zivilisationskrankheiten. Er kannte Zahlen über Subventionen für Tiermast, Tiertransporte und den Anbau von Mais für Biogas, der Anbaufläche für Lebensmittel vernichtete. Er konnte darlegen, dass die Kreditvergabe der Weltbank an der Armut der afrikanischen Länder mitschuldig war, er sprach über Land Grabbing und die Arroganz, die Abholzung des Regenwaldes zu kritisieren, während wir selbst das Fleisch aßen, für dessen Aufzucht der Wald gerodet wurde. Er hatte alle diese Zahlen und Fakten im Kopf, kapierte die Strukturen hinter den Finanzströmen und konnte die Zusammenhänge einfach und anschaulich erläutern.
    Ich hasste mich selbst für das, was ich in diesem Moment fühlte, aber ich konnte es einfach nicht unterdrücken: Ich war verdammt stolz, dass dieser coole Typ da vorn mein Bruder war.
    Daniel wurde nach dem Interview von Fans umlagert und ich war todmüde, wollte aber nicht nach Hause gehen, weil ich dann nur depressiv geworden wäre zwischen ungespültem Geschirr, einer Mutter – Sybille –, die ihren zweiten Frühling mit einem dauerbekifften Nichtsnutz erlebte, und meinem Zimmer, in dem mir inzwischen wirklich die Decke auf den Kopf fiel. Deshalb ging ich ins Kino. Ich konnte der Handlung nicht folgen, was mich aber nicht weiter störte, denn der Film lenkte mich trotzdem ab. Danach gönnte ich mir noch einen großen Eisbecher, dann trottete ich nach Hause und fiel ins Bett. Im Zimmer nebenan, das früher von Mike, dann von meiner Mutter – Sybille – und jetzt offenbar von beiden bewohnt wurde, fand ein lautstarker erotischer Nahkampf statt. Ich musste mir das Kissen auf den Kopf legen, um einschlafen zu können.
    Am nächsten Morgen saß Josef allein in seiner Loge und begrüßte mich mit ernstem Gesicht. »Die Herren sind außer sich.«
    Ich konnte mir vorstellen, dass Daniels Fernsehauftritt nicht dazu geeignet war, die Wogen zu glätten, auch wenn ich nicht in allen Details verfolgt hatte, was er von sich gab, aber er war aktiv und Siebendt war passiv, und das war in der öffentlichen Wahrnehmung immer schlecht. Wir Aktiven – denn damals stand ich ja auf Daniels Seite – hatten auch über den passiven Energiekonzern gelästert, der keine Verlautbarung zustande bekommen hatte, sodass die Medien stundenlang die von Daniel auf der gefakten Pressekonferenz in die Welt gesetzten Argumente wiederkäuten.
    Leider stand ich heute auf der anderen, der Verliererseite. Das war Grund genug, mich schlecht zu fühlen, aber mehr Schuld wollte ich nicht auf mich nehmen. Immerhin hatte ich PS gestern zwanzigmal sprechen wollen, um über eine Strategie zur Rettung unseres Bildes in der Öffentlichkeit zu beraten, aber er hatte meine Anrufe nicht entgegengenommen und nicht zurückgerufen.
    Trotzdem wusste ich, dass sie mir die Schuld geben würden.
    Allerdings hatte ich noch keine Ahnung vom Ausmaß der Katastrophe, die sich hinter meinem Rücken zusammengeballt hatte.
    Ich war kaum an meinem Schreibtisch angekommen, als das Telefon auch schon klingelte. Frau Wildenroth, die treue Seele, hatte also meine Ankunft sofort gepetzt.
    »Kommst du bitte in mein Büro?«, sagte PS ohne Begrüßung.
    »Ich habe noch keine Mails gecheckt …«
    »Sofort.«
    Oh, das klang nach Ärger. Ich streckte den Rückendurch, hob das Kinn und machte mich auf meinen besten Schuhen in meinem besten Kostüm auf den Weg in die Höhle des Löwen.
    Wieder saßen Siebendt senior und der Anwalt an Philips Besprechungstisch, wieder stand Philip daneben. Er bedeutete mir, Platz zu nehmen. Ich setzte mich den älteren Herren gegenüber. Die beiden hatten Kaffeetassen vor sich, mir wurde nichts angeboten. Philip blieb hinter dem Stuhl am Kopfende stehen. Seine Hände umfassten die Armlehne, seine Fingerknöchel waren weiß. Auf dem Tisch lagen einige Magazine, in denen ich Anzeigen geschaltet hatte. Ich musste sie nicht durchblättern, um zu wissen, dass hinter jeder Anzeige von uns eine Gegenanzeige von Hot Spott erschienen war. Die Perfektion der Sabotage war erschreckend und ich hatte mir immer noch keine

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