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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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ähnlich spartanisch eingerichtet war wie Bruder Adams Zelle, doch auch hier war alles gepflegt und ungewöhnlich sauber. Mathäus pfiff durch die Zähne, als er die Verglasung vor der Fensteröffnung sah.
    »Norbert von Kerpen macht's möglich«, grinste Reiner. »Jedenfalls wünschen wir Euch eine gesegnete Mittagsruhe, werter Dorfherr.«
    »Eine Frage noch!«
    Die Novizen verharrten im Schritt.
    »Es hat hier gebrannt?« Mathäus fragte es förmlicher als beabsichtigt.
    Die Novizen sahen sich kurz an und nickten.
    »Wann?«
    »Vergangenen Dienstag«, erwiderte Karsil nach kurzem Überlegen.
    »Was ist passiert?«
    »Nun«, Reiner kratzte am Flaum seiner Wangen, »Odo, einer der Stallburschen, muss wohl in der Scheune eingeschlafen sein. Wahrscheinlich ist seine Ölleuchte umgekippt, und dann …« Er hob bedauernd die Schultern.
    »Und der Stallbursche?«
    »Tot. Der Prior glaubt, dass Odo betrunken war.«
    »Glaubt ihr das auch?«
    »Wie kämen wir dazu, dem Prior zu widersprechen?«, sagte Reiner mit einem traurigen Lächeln. »Es muss wohl so gewesen sein.«
    »Ich danke euch.« Mathäus setzte sich auf den Rand seiner Pritsche. Als die beiden Novizen den Raum verlassen hatten, streifte er seine Stiefel ab, legte sich hin und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, während die Eindrücke des Morgens wie ein Schwarm Insekten durch sein Gehirn schwirrten.

6
    E benso wie sein Sohn lag auch Richmond Dreyling zur selben Zeit auf seinem Bett und starrte auf die Balkendecke. Draußen hatte die Intensität des Regens zugenommen, was Dreyling mit ein paar dahergemurmelten Flüchen kommentierte. Er schreckte auf, als er Geräusche vor dem Fenster hörte. Eine alte Gans suchte Zuflucht vor der Nässe und setzte zum Sprung ins Stubeninnere an.
    »Gottverdammter Vogel«, brummte Dreyling und griff nach einem seiner Stiefel, den er dem Federvieh zur Begrüßung und gleichzeitigen Verabschiedung entgegenschmiss. Unter lautem Geschnatter suchte die Gans das Weite. Stöhnend ließ Dreyling sich wieder auf das Kissen sinken.
    Seine Gedanken kreisten um seine Frau, die er verloren hatte, und um seinen Sohn, den er verloren glaubte. Was würde er dafür geben, mit Mathäus nach Jülich zurückzukehren, wo er eine Weinhandlung besessen hatte. Jetzt, nach dem Tod seiner Frau, wo der Schwarze Tod wie von Satans Hand entfesselt wütete, sah er dunkle Wolken am Horizont seines Lebens. Aber irgendwann würde das Wüten ja auch ein Ende haben, falls der Herrgott das Ende der Welt noch nicht beschlossen hatte. Und dann könnte er mit der tatkräftigen Unterstützung seines Sohnes einen Neuanfang wagen. Wenn dieser Hitzkopf doch bloß vernünftig würde. Richmond Dreyling konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Leben in einem gottverlassenen Nest für seinen Sohn die Erfüllung sein sollte. Und er war nicht geneigt, dies seinem Sohn zu glauben. Mathäus hatte einen guten Posten im Beamtenstab des Markgrafen gehabt, bis er sich dazu herabließ, Wilhelms Base als dumme Eule zu bezeichnen. Nur deswegen schob er nun Dienst in diesem Bauerndorf; wahrscheinlich wollte der sture Kerl einfach nur nicht zugeben, dass sein Leben im Nichts zu enden drohte. Sollte der Markgraf ihn doch mal gerne haben. In Jülich könnte er sich eine weitaus würdigere Existenz sichern, weiß Gott …
    Dreyling hörte, wie sich jemand an der Haustür zu schaffen machte.
    »Dem Herrn sei Dank, er kommt«, murmelte er und erhob sich von der Bettstatt.
    »Wir sind's, mein Goldschatz!«, behauptete eine klare Frauenstimme, und keine Sekunde später trat eine schlanke Gestalt mit langen schwarzen Haaren in die Stube. An ihrer Hand hielt sie ein etwa fünfjähriges Mädchen, dem ebenfalls lange schwarze Haarsträhnen ins Gesicht fielen und ihre großen Kulleraugen zum Teil verdeckten. Die beiden waren vom Regen ziemlich durchnässt. Sie verharrten im Schritt und starrten Richmond Dreyling verdutzt an.
    Dreyling musterte zuerst die Kleine, bevor er seine Aufmerksamkeit der jungen Frau widmete. Sie mochte vielleicht achtzehn Winter hinter sich haben, und Dreyling ertappte sich bei dem Gedanken, dass er eine solche Schönheit in diesem Kuhdorf nicht vermutet hätte.
    »Als Goldschatz bin ich schon lange nicht mehr bezeichnet worden«, behauptete Dreyling nach ein paar Augenblicken des Musterns, »allenfalls als Dickerchen. Aber auch das ist jetzt vorbei.« Er legte eine Hand auf seinen Bauch, der entgegen seiner Behauptung noch überschaubare Konturen

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