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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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Klosterhof und das Inferno würde sogar eine Bärenfamilie aus dem Winterschlaf reißen.«
    Anselm schaute sich um. Er schien erst jetzt zu merken, dass der Bibliothekar nicht anwesend war. Stirnrunzelnd winkte er die beiden Novizen zu sich heran, die den immer noch löschenden Knechten zur Hand gingen. »Holt Bruder Theodor her!«, befahl er mit matter Stimme. Er schien das nächste Unheil zu erahnen.
    Reiner und Karsil stoben davon.
    »Ich sage Euch, Herr Mathäus, der Teufel geht um«, flüsterte Anselm schaudernd.
    »Ich denke, Pater, wir haben es hier mit Menschenwerk zu tun, auch wenn ich Eure Weisheit ungern in Zweifel ziehen möchte.«
    »Meine Weisheit?« Anselm lächelte schwach. »Corripe sapientem et amabit te!«, zitierte er.
    »Wie?«
    »Tadle den Weisen, und er wird dich lieben!«
    »Ach so. Aber glaubt mir, Pater Prior, es lag mir fern, Euch zu tadeln. Ich wollte vielmehr …« Ein Aufschrei unterbrach ihn.
    Mathäus und Anselm fuhren herum. Walraf war in die Knie gesunken und hielt schmerzverzerrt seinen Bauch fest, während Engelbert und Notker ihn zu stützen versuchten.
    »Was ist, Bruder?«
    »Mein … Bauch«, knirschte Walraf.
    »Um Himmels willen, bringt ihn in den Krankensaal. Bruder Edmond! Bitte, schaut nach ihm, Ihr versteht am meisten von der Krankenpflege.«
    Die Mönche nickten und entfernten sich schnell, den wimmernden Walraf in ihrer Mitte.
    Vom Hauptgebäude näherten sich bald darauf eilige Schritte. Reiner und Karsil waren völlig außer Atem. »Pater Prior! Ihr müsst sofort kommen!«, rief Reiner schon von weitem.
    Anselms blasses Gesicht wirkte gespenstisch im fahlen Schein des Feuers. Er schien nicht mehr fähig, irgendwelche Gefühlsregungen zu zeigen.
    »Pater Prior, Ihr müsst kommen!«
    »Was ist?«, fragte Mathäus.
    »Bruder Theodor!«, keuchte Karsil. »Er ist tot!«
    Der leere Blick des Priors suchte den des Dorfherrn. »Habe ich es Euch nicht gesagt?«, sagte er leise. »Die Boten des Teufels sind unterwegs.«

10
    B ruder Theodor lag bäuchlings auf dem Boden; seine starren Augen schienen bereits ferne Welten zu sehen. An seinen Mundwinkeln klebte geronnenes Sekret, und sein rechter Arm war nach vorne ausgestreckt, als wollte er eine Hand ergreifen, die er an der Schwelle zum Jenseits erblickte.
    Der Prior stöhnte auf. Mit einer müden Handbewegung entließ er die beiden Novizen, die mit offenen Mündern den Toten betrachteten. Er kniete nieder und betete das Totengebet. Dann sprach er Theodor von seinen Sünden los und wandte sich an den Dorfherrn.
    »Und? Was sagt Ihr?«, fragte er tonlos.
    Auch Mathäus kniete sich neben den Toten. Er sah in die leblosen Augen des Bibliothekars, untersuchte die erkalteten Schleimhäute in seinem Mund. Der Prior wandte sich ab und unterdrückte ein Würgen.
    »Ich glaube«, sagte Mathäus langsam, »dass Bruder Theodor an einem Gift starb.«
    »Wollt Ihr damit behaupten, auch er sei umgebracht worden?«
    Der Dorfherr hob die Schultern. »Ob vorsätzlich oder aus Versehen bleibt abzuwarten. Aber bedenkt die Tatsachen, Pater Prior.« Er hob eine Hand und zählte an seinen Fingern. »Zuerst ein Brand, bei dem ein Knecht ums Leben kommt. Dann ein toter Mönch, der offensichtlich mit seinem Kopfkissen erstickt wurde. Jetzt wieder ein Brand und wieder ein Toter. Und schließlich Bruder Theodor, dem scheinbar ein Gift zum Verhängnis wurde. Sagt, Pater, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in einem kleinen Kloster wie Eurem solche Ereignisse innerhalb weniger Tage stattfinden, ohne dass eine lenkende Kraft dahinter steckt?«
    »Nicht sehr groß«, gab Anselm leise zu.
    Mathäus nickte. »Und deshalb glaube ich, Pater, dass es in Euren Mauern einen Mörder gibt.«
    »Gott stehe uns bei. Ein Bote des Teufels.«
    »Das überlasse ich Eurer theologischen Interpretation. Jedenfalls gilt es, den Mörder zu finden, bevor weiteres Unheil geschieht.« Er sah sich in der Kammer um.
    »Was sucht Ihr?«, fragte Anselm.
    »Wir sollten nach einer weißen Lilie suchen.«
    Trotz intensiver Suche fanden sie nichts dergleichen. Der Prior ließ sich erschöpft auf einen Schemel sinken und rang hilflos mit seinen Händen. »Aber wo sind die Zusammenhänge zwischen all diesen schrecklichen Vorkommnissen?«
    Mathäus blies seine Wangen auf. »Ich werde versuchen, dies herauszufinden. Aber zuvor müsst Ihr gründlich nachdenken, Pater. Es gilt, einen Bezug zwischen den Vorfällen zu finden. Gibt es irgendwelche Gemeinsamkeiten, die die Toten

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