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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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hassen!« – »Er fand die Lilie nachts, auf seinem Betstuhl!« – »Ich habe eine Vision vom Ende der Welt!«
    Mathäus versuchte die Fragmente in seinem Geist zu ordnen, doch er merkte, wie allmählich eine behagliche Müdigkeit von ihm Besitz ergriff. Er löschte das Licht der Lampe, betete ein Ave Maria und fiel in einen tiefen Schlaf.

9
    B ruder Theodor registrierte die Windböen nicht, die heftig an den Fensterläden rüttelten. Er lag auf seinem Bett, das bleiche Gesicht zur Decke gerichtet, während seine blutlosen Lippen ein paar stumme Gebete formulierten. Doch nach einer gewissen Zeit musste er sich eingestehen, dass ihm die Andacht für das Zwiegespräch mit Gott zu fehlen schien. Immer wieder tauchte dieser schreckliche Gedanke auf, wie ein Wolf, der Tod und Unheil bringend aus dem verborgenen Dickicht in eine Herde weidender Schafe springt.
    Zu den Leiden der Seele gesellten sich auch die Leiden des Leibes. Seit einigen Stunden verspürte Theodor ein rumorendes Unwohlsein in seiner Magengegend. Weitaus schlimmer jedoch waren die Leiden der Seele, die bohrenden Fragen, die ihn bedrückten, die schauerliche Vermutung, die sich ihm offenbarte wie ein quälender Dämon. Ob Gott ihm seine Sünde verzeihen würde? Theodor sprach sich guten Mut zu. Sicher, Gott würde ihm seine Sünde verzeihen, denn er bereute sie, bereute sie von ganzem Herzen. Er war schwach gewesen gegen die Dämonen der Begierde, doch nun war er fest entschlossen, sie zu besiegen. Er würde nicht umhin kommen, seine Sünde zu beichten, aber die Buße würde ihn reinigen, würde ihm wieder einen Platz zur Rechten Gottes sichern am Tag des Jüngsten Gerichts, von dem der Prior glaubte, er läge nicht mehr fern. Wenn nur diese ungeheuerliche Vermutung nicht wäre …
    Er hatte den anderen darauf angesprochen, doch der hatte ihn empört zurückgewiesen. Und trotzdem wurde Theodor das Gefühl nicht los, dass er log. Er würde ihn also wieder ansprechen, wieder und immer wieder, bis er ihn von der Notwendigkeit der Buße überzeugt hatte. Noch war seine Seele nicht verloren. Hatte Jesus nicht auch dem Schächer am Kreuz in der Stunde des Todes seine Sünden verziehen?
    Ein krampfartiger Schmerz ließ den jungen Mönch hochfahren. Seine Hände pressten sich auf seinen Bauch, in dem die Eingeweide zu brennen schienen.
    »Oh Gott!«, stammelte er und erhob sich mühsam von seinem Lager. Kein Zweifel, er brauchte Hilfe. Er würde den alten Edmond wecken müssen, damit dieser ihm ein paar heilende Kräuter aus seinem Garten verabreichte.
    Der Schmerz wurde unerträglich. Seine Glieder begannen zu zittern. Den Oberkörper weit nach vorne gebeugt, schleppte er sich keuchend zur Tür, stürzte jedoch zu Boden, bevor er diese erreichte. Stöhnend versuchte er sich aufzurichten, streckte seine zitternde Hand Richtung Türgriff, doch eine neue Welle größten Schmerzes jagte durch seinen Körper und ließ ihn wieder niedersinken. Er spürte, wie eine übel riechende Brühe aus seinen Mundwinkeln rann. Seine Finger krampften sich in das Schlafgewand; er hörte noch das Geräusch zerreißenden Stoffes. Dann spürte er, wie das Leben allmählich aus ihm wich, doch er besaß noch die Kraft, sich darüber zu wundern, dass dieser Umstand ihn nicht in Panik versetzte. Er begann das Feuer in seinen Därmen als unbedeutend zu empfinden, und sein letztes Tun auf dieser Welt war ein Stoßgebet, das er zum Himmel schickte.
    Als das Gesicht der schönen Beatrix ihm in seinem Traum erschien, erwachte Mathäus erschrocken. Er empfand Schuldgefühle gegenüber Jutta: Wie konnte es bloß geschehen, dass das Antlitz einer anderen Frau ihn heimsuchte wie ein Dieb in der Nacht? Ein paar Flüche murmelnd drehte er sich auf die andere Seite, und nach kurzer Zeit hatte der Schlaf ihn wieder eingeholt.
    Ganz so, als wollte sein Innerstes sich gegen weitere Versuchungen wehren, träumte er nun von Jutta. Er sah sich vor seiner Geliebten stehen, sah ihr bezauberndes Lächeln, ihre weißen Zähne, die sanften Lachfalten um ihre Mundwinkel. Er zückte eine Schachtel aus der Falte seines Gewandes, in der sich jener goldene Ring befand, den er vor mehr als zwei Monaten in Aachen für vier Gulden erstanden hatte. Bis jetzt hatte er sich nicht getraut, Jutta diesen Ring zu schenken, denn er wollte sie nicht bedrängen. Er wusste von den Kämpfen in ihrer Seele, wusste von ihrem Zwiespalt, und Gott würde ihr eines Tages sicherlich den rechten Weg zeigen.
    In seinem Traum jedoch

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