Mönchsgesang
Und manchmal – er kam nicht umhin, dies einzugestehen – war seine Rückkehr alles andere als harmonisch verlaufen. Von Weindünsten umweht hatte er den Unwillen seiner Gattin erweckt, die den kleinen Mathäus dann sogleich ins Bett schickte, um ihm den Anblick des angetrunkenen Vaters zu ersparen. Aber was hätte er denn machen sollen? Als stadtbekannter Weinhändler hatte man schließlich auch seine Verpflichtungen, und dass er von seinen Kunden oft zu einem Umtrunk geladen wurde, gehörte nun einmal zu den Gepflogenheiten des Geschäfts.
Andererseits konnten auch die Lieferanten, die meist sehr weite Wege zurückgelegt hatten, nicht allein mit den üblichen Formalitäten abgefertigt werden.
Am Ende hatte Helene, seine Frau, dann doch stets Verständnis für sein Dilemma gehabt, hatte den Benebelten ins Bett komplimentiert und ihn mit zärtlichen Liebkosungen in den Schlaf geschickt. Mit solcherlei Gedanken war Dreyling auch gestern Abend eingeschlafen.
Nun lag er seit Stunden wach und schwamm wieder in einem Meer der Erinnerungen. Was würde er bloß darum geben, wenn seine Helene jetzt neben ihm läge, die strenge, aber herzensgute Helene. Was würde er für einen ihrer scherzhaften Tadel geben, was für eine Berührung ihrer samtweichen Hand. Aber Helene war tot! Bei Gott, sie war tot, und keine Macht der Erde konnte sie wieder zum Leben erwecken. Ein Wiedersehen würde es erst im Himmel geben. Und Dreyling ertappte sich bei dem Gedanken, dass der Tod ihm ein willkommener Gast sein würde.
Mit einem matten Stöhnen hievte er sich auf den Bettrand. Erst jetzt merkte er, wie kalt es war. Er hatte darauf verzichtet, den Fensterladen zu schließen, und die Kühle des herbstlichen Morgens kroch durch die bescheidene Stube des Dorfherrn. Draußen plätscherte ein Regenschauer. Nebenan krähten zwei alte Hähne um die Wette.
Dreyling erhob sich träge und verhing mit einem müden Fluch das Fenster. Dann entzündete er ein Holzkohlebecken, um sich etwas aufzuwärmen. In der kleinen Speisekammer fand er etwas Essbares; hungrig löffelte er den Hirsebrei in sich hinein, bis plötzlich jemand heftig gegen die Haustür pochte.
»Der verlorene Sohn«, brummte Dreyling und spürte, wie sein Herz hüpfte. Doch er war nicht willens, seinem Filius irgendeine Art von Wiedersehensfreude zu zeigen. Deshalb schlurfte er betont langsam zur Tür, den Mund noch voller Brei, schob den Riegel beiseite und öffnete. Ein Schwall Worte, der fast schon wie Materie greifbar war, ließ ihn jäh zurückfahren.
»Das glaubt einem kein Mensch«, blökte die Bäuerin Kunigunde, »das muss man sich einmal vorstellen: Will zum Brotbacken ins Backhaus gehen und kippe fast aus den Latschen, als ich sehe, wie es dort aussieht. Ein Schweinestall ist ein Fürstengemach dagegen.« Sie holte tief Luft für eine weitere Tirade, hielt jedoch inne, als sie endlich merkte, dass es gar nicht der Dorfherr war, der sie da mit großen Augen anstarrte. Der Mann vor ihr besaß zwar ähnliche Gesichtszüge, war aber wesentlich älter. Außerdem hätte Herr Mathäus ihr wohl niemals im Schlafgewand die Tür geöffnet.
»Wer seid Ihr denn?«, blaffte sie.
»Wer, ich? Ich bin …«
»Wo ist der Dorfherr?«
»Der wurde leider …«
»Könnt Ihr Euch das vorstellen? Schweinescheiße mitten in der Backstube. Von den anderen Schweinereien gar nicht zu sprechen.«
Dreyling schluckte. »Wie?«
»Wahrscheinlich hatte Frieda, diese alte Zicke, wieder ihre Lieblingssau dabei. Aber darüber könnte man ja noch hinwegsehen.« Das ohnehin rosige Gesicht der Bäuerin wurde immer röter. Eine fleischige Faust tanzte vor Dreylings Gesicht, der schreckhaft zusammenzuckte. »Tatsache ist«, fuhr sie erboster denn je fort, »dass die Unterdörfler in der vergangenen Woche das Backhaus benutzt haben. Also waren sie auch für dessen Reinigung verantwortlich.«
»Unterdörfler?«
»Natürlich, die Unterdörfler, Herrgott. Und in dieser Woche sind wir Oberdörfler an der Reihe. Aber den Mist der anderen wegschaufeln? Pah, den Teufel werden wir tun. Nein, nein, das haben die sich wohl so gedacht. Wo sind wir denn hier?«
»Liebe Frau – äh …«
»Da kann ja gleich jeder machen, was er will. Wozu gibt es denn eigentlich den Dorfherrn? Herr Mathäus soll denen da unten gefälligst Beine machen. Sonst schmeiß ich eine ordentliche Ladung Schweinemist in den Bach, wenn die ihren Waschtag haben, verlasst Euch darauf.«
Dreyling schluckte erneut. »Gut, ich werde es
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