Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
bewusst.
Als sie sich setzte, entdeckte sie noch ein gelbes Post it mit dem Verweis, in der Eingangspost liege eine fette Liste vom KBA. Ächzend und nicht allzu schnell stand sie wieder auf und schaute die Liste an. Sie enthielt alle dunkelblauen Honda Civics der angefragten Fabrikate aus Rostock und Umgebung, und Barbara schlug innerlich die Hände über dem Kopf zusammen. Sie ließ die Liste vorerst Liste sein und wandte sich den alten Akten zu.
Band I begann mit einer Vermisstenanzeige, aufgegeben am 18. April 1995 um 15:43 Uhr von Veronika Laube, wohnhaft Groten Enn 49 in 18109 Rostock, in der Revierkriminalstelle des damaligen Polizeireviers Lütten Klein. Als vermisst gemeldet wurde der Ehegatte, Dr. Jan-Peter Laube, der am 7. Februar 1995 zu einer Reise nach Mexiko aufgebrochen war. Er hatte diese eventuell auf Guatemala und Honduras ausdehnen wollen, aber nicht länger als sechs Wochen zu bleiben gedacht. Bisher sei er aber nicht zurückgekehrt, und Veronika Laube hatte seit einer Ansichtskarte aus San Cristóbal de las Casas, datiert am 28. Februar, kein Lebenszeichen mehr erhalten. Allmählich sei sie in höchstem Maße beunruhigt. Letztlich hätten sie die Ostertage, die der sechsjährige Sohn erstmals ohne den Vater verbracht hatte, dazu bewogen, nun Anzeige zu erstatten.
Barbara hatte auf ihrem Rechner einen ewigen Kalender installiert, der ihr ermöglichte, jedes zurückliegende und jedes zukünftige Datum zu ermitteln. So fand sie rasch heraus, dass der 18. April 1995 der Tag nach dem Ostermontag gewesen war.
Die Anzeige war noch am gleichen Abend an die Vermisstenstelle der Kripo-Inspektion Rostock weitergeleitet und dort am nächsten Morgen von Oberkommissar Bachmann bearbeitet worden. Barbara blätterte etwas vor, schaute in anderen Ordnern nach und kam zu dem Schluss, dass Bachmann für die kommenden vier Monate der federführende Sachbearbeiter in dieser Angelegenheit gewesen war. In der Folgezeit hatten sich dann die Ermittler abgelöst. Das Verfahren war nie eingestellt worden, aber die Intensität, mit der es behandelt wurde, hatte stetig abgenommen. Am 11. Februar 1998 beschloss der Leiter der Kriminalpolizei, die Untersuchung der Mordkommission zu übertragen. Oberkommissar Friedrich und Kommissar Jürtens übernahmen. Friedrich war vor vier oder fünf Jahren gestorben. Jürtens war noch da, sogar noch bei der MoKo, inzwischen als Hauptkommissar. Wenn Barbara mit ihm über den Fall Laube sprechen wollte, musste sie nur drei Türen weiter gehen.
Was hatte sie selbst 1995 gemacht? Einen großen Fall hatte es im Raubkommissariat nicht gegeben, aber nach einer Weile des Grübelns fiel ihr ein, dass man damals die DDR-Aktenbestände bereinigt hatte. Dann erinnerte sie sich auch, dass dies auf der Grundlage der Ziffer 11 der Dienstanweisung für die Führung von Kriminalakten geschah, die 1993 erlassen worden war und kurz KA-Richtlinie genannt wurde, obwohl sie für die Bereinigung gar keine Richtlinien enthielt. Die KPI Rostock war seinerzeit gelobt worden, weil sie eigene Vorschriften erlassen und mit dem systematischen Bereinigen begonnen hatte. Für gute kriminalpolizeiliche Arbeit gab es nie ein Lob von oben, fürs Aktenbereinigen schon.
Barbara zuckte die Schultern und wandte sich wieder dem Fall Laube zu. Im Juni 1995 war die Vermisstenabteilung des BKA informiert und um Amtshilfe gebeten worden. Im Mai 1996 traf ein Resumen de la investigación criminal genannter 26-seitiger Bericht der mexikanischen Policía Federal Judicial in Wiesbaden ein, der übersetzt und nach Rostock weitergeleitet wurde. Aus den Ermittlungen der Rostocker und der Wiesbadener Vermisstenstelle sowie der Mexikaner ergab sich schließlich ein Itinerar der Reise des Dr. Jan-Peter Laube. Am 7. Februar 1995 hatte er am frühen Morgen das Haus im Groten Enn verlassen und war mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof gefahren. Dort hatte er einen Interregio bestiegen, war nach Berlin gefahren, hatte sein vorbestelltes Zimmer im Hotel Unter den Linden bezogen, hatte es gegen 13:00 Uhr verlassen und war gegen 22:00 Uhr mit der Prostituierten Lara »Angelique« Köhler zurückgekehrt. Damit konfrontiert, hatte die Ehefrau, Veronika Laube, ihren Mann einen Filou und Weiberhelden genannt, wovon sie bei späteren Verhören nicht abwich.
Am 8. Februar hatte Laube auf dem Flughafen Tegel eine Maschine der British Airways bestiegen, war in Heathrow umgestiegen und dann nonstop nach Mexiko-City geflogen, wo er am Abend des 9. eintraf.
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