Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
in die KPI gebracht hatte. Dort saß er nun in VR 2, Uplegger und Barbara saßen ihm gegenüber und schauten ihn an. Sein Blick war auf die Tischplatte gerichtet.
Die Kriminalbeamten wussten dank der raschen Arbeit von Ann-Kathrin mehr über den Mann als noch vor einigen Stunden. Die Ururgroßeltern des deutschstämmigen Meyer waren Mitte des 19. Jahrhunderts von Mecklenburg nach Amerika ausgewandert, und zwar aus Granzow direkt nach Mecklenburg County, wo damals schon viele Norddeutsche lebten. Granzow, so hatte Uplegger herausgefunden, war ein kleiner Ort nördlich von Mirow, korrekterweise musste man also sagen, dass die Familie Meyer aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz ausgewandert war. Sie hatten sich im Township Crab Orchard niedergelassen, dann hatte sich die Familie über den ganzen Bundesstaat North Carolina verbreitet, über den Barbara immerhin wusste, dass die Hauptstadt Raleigh eine Partnerstadt von Rostock war.
»Und was hat Sie nach Deutschland verschlagen?«, erkundigte sie sich.
Meyer starrte weiterhin auf die Tischplatte. »Fritz Reuter und Queen Charlotte.« Was Barbara bei ihrem kurzen Telefongespräch nicht aufgefallen war, wurde nun offenbar: Er zerquetschte das R in der charakteristischen Weise der US-Amerikaner.
»Queen Charlotte, das verstehe ich«, sagte Jonas. »Da gab es ja schließlich vor einigen Jahren diesen Event …«
»2011«, warf Meyer ein.
»Stimmt, da war etwas«, bemerkte Barbara. »Ich habe davon gelesen …«
»Das Königin-Charlotte-Jahr«, erklärte Uplegger. »Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz wurde Königin von England, und zwar im Jahr … Herr Meyer?«
Aaron Meyer schaute seine Gegenüber nun an, denn noch war das Terrain unverfänglich, auf dem sie sich bewegten.
»1761 hat sie König Georg III. geheiratet, 2011 wurde also das 250. Jahr ihrer Thronbesteigung gefeiert. Nach Queen Charlotte wurde unsere Hauptstadt Charlotte und auch der County Mecklenburg benannt. 2011 war ich mit der offiziellen Delegation zu dem Festakt in Mirow. Man hatte mich als Reuter-Spezialisten mitgenommen, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, nach meinen Roots zu forschen.« Er lächelte. »Damit, dass ich meine Frau finden würde, habe ich natürlich nicht gerechnet.«
»Aber warum Reuter? Was haben Sie mit Reuter zu tun?«
»Ich habe in Charlotte Germanistik studiert. Auch englische Sprache und Literatur, vor allem aber Deutsch. Wegen meiner Familie – meine Urgroßmutter, die ich als Kind noch erlebt habe, sprach manchmal Platt. Ich habe mich schon als Jugendlicher mit dem Niederdeutschen beschäftigt und Reuter gelesen. Yeah, und dann habe ich über Kein Hüsung meine Doktorarbeit geschrieben. Ich habe angefangen … Die Liebe kam dazwischen.«
Barbara fühlte sich ahnungslos und schaute zu Uplegger, der kaum merklich mit den Schultern zuckte.
»Warum ausgerechnet Uns Hüsung ?«, erkundigte sie sich. So hießen Hotels, Kneipen, Kleingartenanlagen und Pflegeheime überall in Meck-Pomm, aber sie wusste nicht, was es damit auf sich hatte. »Was ist daran so interessant für einen deutschblütigen amerikanischen Germanisten?«
» Kein Hüsung «, korrigierte Meyer. »Im Lebensrückblick nannte Reuter es sein Lieblingswerk. Sie wissen nicht, worum es geht?« Barbara und Uplegger schüttelten beide den Kopf. »Es ist eine tragische Liebesgeschichte. Der Knecht Johann liebt die Tagelöhnertochter Marie, aber sie können nicht heiraten, weil ihnen der Gutsbesitzer kein Hüsung gewährt, das bedeutet, keine Wohnung und kein Recht zur Niederlassung. Johann ersticht ihn mit einer Forke und wandert nach Amerika aus, Marie endet im Wahnsinn. Es ist auch eine Auswanderergeschichte, verstehen Sie? Wie die Geschichte meiner Familie.«
»Die wegen eines Mordes auswanderte?«, fragte Uplegger.
»Nein, aus Not. Wie Sie sehen und wie man auf gut Deutsch sagt: Ich habe drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Eigentlich sogar vier: Ich war in Granzow, um meine Wurzeln zu suchen, ich habe Reuters Luft geatmet, ich habe mir von den Offiziellen der Landesregierung den Arsch küssen lassen – und ich habe eine Familie gegründet.«
Barbara sagte: »Sie haben Lisa geheiratet, die Schwester von Lena Schultz.«
»Exactly. Meine Frau war bei den Festtagen für den Tourismusverband in Mirow.«
»Was haben Sie in Lenas Wohnung gewollt?«
»Etwas abholen.«
»Was?«
»Etwas Privates.«
»Lena ist das Opfer eines Verbrechens«, sagte Uplegger, »alles, was sich in der Wohnung
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