Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
konstatierte sie, während sie eine Seite umblätterte. Sie hatte sich das aktuelle Tagebuch vorgenommen und fand eine eingeklebte Zugfahrkarte.
»Ist ganz nett, was die Schüler über ihre Reise schreiben.«
»Nett, so, so.« Barbara gähnte verstohlen. Die Fahrkarte galt für eine Reise von Rostock nach Eckernförde und zurück, und sie war einen Tag vor dem Eignungsgespräch am Baltic Sea International Campus erworben worden. Barbara nahm eine Lupe und betrachtete die Stempel der Fahrkartenkontrolle.
»Sie haben so Standarderlebnisse wie Fahrten mit dem Chickenbus …«
»Hühnerbus, was ist das?« Den Stempeln zufolge war Lena zur Eignungsprüfung gefahren und am selben Tag zurückgekehrt.
» Camioneta ist das spanische Wort. Man sitzt anscheinend darin dichtgedrängt wie die Hühner auf der Stange und nimmt jedes Schlagloch mit.«
»Ah, ja. Wird Lena erwähnt?«
»Bisher nicht. Aber Tortillas und Bohnen …« Uplegger vertiefte sich wieder, Barbara ging ins Internet und suchte eine Telefonnummer des Eckernförder Campus – wozu man dort ausgebildet werden konnte, hatte sie schon vergessen. Auf der Webseite fand sie es wieder: Gesang-Tanz-Schauspiel-Trainer. Was mochte wohl ein Gesang-Tanz-Schauspiel sein? Jedenfalls etwas, für das man keinen Regisseur brauchte, keinen Mann wie Carlos Medina, sondern einen Trainer … und wieder wurden ihr die Lider schwer …
»Hier steht was über den Valentinstag«, rief Uplegger plötzlich. Barbara zuckte zusammen. » Am 16.2. heißt es: Gegen 10.30 Uhr gab es dann ein richtiges Highlight. Da die Schüler am Dia de la amistad nicht in der Schule waren, wurden die Feierlichkeiten nachgeholt. Diese fanden in der festlich ausgestalteten Aula statt . Ich vermute jedenfalls, dass es sich dabei um den Valentinstag handelt – von dem die Fotos an Lenas Wand stammen.«
Barbara nickte, riss sich zusammen und schlug die nächste Seite auf. Lena hatte am 26. Juli im Marktkauf einen schönen, charmanten, weltgewandten jungen Mann kennengelernt, so wie schon am 23.7. und am 17.7. – das wurde allmählich langweilig. Wenn sie nicht einschlafen wollte, sollte sie sich vielleicht den Ergüssen der Domina Sarah widmen.
Sie erhob sich und verkündete: »Ich gehe ins Archiv«.
»Na, dann.« Er wandte sich seinen Listen zu. Sie verließ das Büro, schlich den Flur entlang, wartete gähnend auf den Lift. Offenbar gab es auch die Herbstmüdigkeit: Es war so furchtbar anstrengend, sich schnell zu bewegen …
An diesem Nachmittag entdeckte Barbara die Langsamkeit.
Als sie mit sieben nach Staub und Keller riechenden Aktenordnern in ihr Zimmer zurückkam, war Jonas fort. Er hatte drei Zettel hinterlassen. Auf dem ersten teilte er mit, dass er zur Vernehmung ins ZG gefahren sei, der zweite enthielt eine Telefonnotiz. Dr. Geldschläger vom Rechtsmedizinischen Ins-titut hatte es nun offiziell bestätigt: Lena Schultz war durch Dekapitation zu Tode gekommen, also durch Enthaupten. Nach den Wundrändern zu urteilen, hatte der Täter mehrmals zugeschlagen, um den Kopf vollständig vom Rumpf zu trennen. Das sprach für gewaltigen Hass.
Auf dem dritten Blatt stand: Im Reisetagebuch kommt Lena einmal vor, an folgender Stelle, wo es wörtlich heißt: »Die Busfahrt von Antigua nach Guatemala Ciudad verlief recht angenehm, bis die Jungs anfingen, Geschichten von Busüberfällen und Schutzgeld zu erzählen. Besonders unterhaltsam wurde es, als unser Fahrer einen Briefumschlag aus seiner Tasche nahm und zu uns sagte, er würde jetzt aussteigen, wir sollten aber sitzen bleiben … Das brachte die Spekulationen so richtig in Gang. Señor Guapo überlegte, wen man als Geisel in Guatemala lassen könne. Seine Wahl fiel auf Lena mit der Begründung: ›Du kommst doch aus Schmarl, du kommst doch auch mit den Bedingungen hier zurecht!‹«
Schmarl gilt wohl insbesondere bei Gymnasiasten als Getto?
PS: Die Namen aller Reiseteilnehmer lege ich in den roten Korb. Wer sich hinter Señor Guapo verbirgt, geht aus dem Text nicht hervor.
PS 2: Ich habe nachgeschaut, Guapo bedeutet hübscher Junge, Schönling, auch Angeber. Hätten Sie’s gewusst?
Nein, weder hätte noch hatte sie es. Hübscher Junge, Schönling, das brachte sie auf Jonah und auf die Gruppe – el grupo – im Trockendock , die sie unbedingt bald aufsuchen musste, wollte sie es sich mit dem Chef nicht verscherzen.
Barbara seufzte vernehmlich. Dass der schöne Jonah Alkohol beinahe wie ihr Kollege Uplegger hieß, wurde ihr erst jetzt
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