Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung, weiß man nicht. Fakt ist, dass ihr Interesse den armen Menschen galt, die vor dem endlosen Bürgerkrieg in Guatemala geflohen waren und nun wieder zurückgeführt werden sollten, den sogenannten Retornados. Die Begleitung der Flüchtlinge durch internationale Organisationen war notwendig, damit sie nicht gleich dem Terror des guatemaltekischen Militärs und der Todesschwadronen zum Opfer fielen. Erstaunlicherweise waren hierbei etliche Baskenorganisationen beteiligt. Im Gegensatz zu den Peace Brigades und anderen sogenannten NGOs wollten sie in die Revolution eingreifen, weil sie ihren Einsatz als Teil ihres eigenen Befreiungskampfes im Baskenland ansahen. Ihre Sicherheit oder ein legaler Status waren für die baskischen Aktivisten sekundär. Sie begleiteten vor allem Leute aus den Widerstandsdörfern namens … Moment …«, erneuter Blick in die Akten, »namens CPR. Das bedeutete Communidades de Población en Resistencia . Nur ein Akut auf dem zweiten O von Población!«
»Da ist Dr. Laube wohl in etwas Politisches geraten?«.
»Ja, er wird wohl mit dem Politischen im Bett gewesen sein, der Filou und Weiberheld.«
»Und diese Eva ist …«
»Verschwunden.«
»So wie er?«
Barbara nickte. »So wie er.«
Da sie beim Aktenstudium erst bis zum dritten Ordner vorgestoßen war, schlug sie vor, den Kollegen Jürtens zu konsultieren, der sich vielleicht noch an den Fall erinnerte und dessen Gedächtnis mühsame Lektüre ersparen konnte. Uplegger war natürlich dafür, und Jürtens war sofort einverstanden. Keine zehn Minuten, nachdem sie ihn angerufen hatte, stand er auf der Matte.
Frank Jürtens war ein Kriminalist alter Schule, der stets in Anzug und Krawatte zum Dienst erschien und der womöglich die Jeans noch Nietenhose nannte. Er hatte noch zwei Jährchen bis zur Pensionierung abzudienen, und er machte sich längst nicht mehr heiß. Seine Spezialität waren Schusswaffen.
Jürtens brachte zwei große Notizbücher mit, und Barbara überließ ihm nicht nur ihren Platz, sie schenkte ihm auch einen Pott ihres Kaffeegebräus namens Herztod ein.
»Das war ein Fall, der mich mehr als üblich beschäftigt hat.« Er tippte auf die Notizbücher.
Barbara setzte sich auf einen flachen Aktenschrank. »Warum?«
»Wegen des Sohnes. Der Junge, er wird sechs oder sieben gewesen sein, war maßlos enttäuscht. Laube hat ihm immer von Mexiko und Guatemala und Honduras vorgesponnen, vom Land der Maya. Und dass er ihn mitnehmen wird in dieses Traumland. Für den Jungen war es eines, aber ich glaube, noch viel mehr für den Alten. Und dann reiste der Vater – allein. Und nicht nur das, er kehrte auch nie zurück, war nicht bei der Einschulung dabei. Das war ziemlich schlimm für den Jungen.«
»Und die Ehefrau?«, fragte Uplegger.
Jürtens winkte ab.
»Die war eher froh, ihn los zu sein. Laube muss von Beginn der Ehe an etwas mit anderen Frauen gehabt haben, mit jüngeren zumal und später, als Hochschullehrer, auch mit Studentinnen. Für mich war er eine Personifikation der Untreue. Er hat nach der Wende erzählt, dass die Stasi und die SED-Parteigruppe der Sektion seine Karriere geknickt haben, weil er Westbücher ins Land schmuggelte. Das sind nur zehn Prozent der Wahrheit. Sein unmoralischer Lebenswandel war viel entscheidender. Er hinterließ nämlich nach jedem seiner Seitensprünge verbrannte Erde. In Guatemala hätte er sich eigentlich den Militärs anschließen können, die in der Spätphase des Bürgerkriegs auch eine Politik der verbrannten Erde betrieben.«
Barbara schaute den älteren Kollegen überrascht an: Seit wann war Jürtens zynisch?
Uplegger hielt die Karte in die Höhe. »Also war er in Guatemala?«
Jürtens und Barbara nickten unisono.
»Nachdem die Sache als mögliches Tötungsdelikt behandelt wurde, schickte das BKA sogar zwei Spanisch sprechende Beamte nach Mexiko, die fast vier Wochen vor Ort ermittelten«, sagte er. »Wo er zwischen Villahermosa und San Cristóbal gewesen ist, haben auch sie nicht herausgekriegt.«
»Aber in Chiapas hatten sie dann einen gewieften Kriminalisten an ihrer Seite«, bemerkte Barbara, um zu zeigen, wie weit sie in ihrem Aktenstudium gekommen war.
»Richtig. Laube hatte ja in San Cristóbal dieses Museum … Jetzt muss ich doch nachgucken.« Er schlug eines der Notizbücher auf und musste eine Weile suchen.
»Casa La Bolom«, warf Barbara ein.
»Ja … nein! Na Bolom! Ein Däne namens Frans Blom hat dort gewohnt.
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