Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Hausschuhe verpasst. Dann erst durfte sie das Fell betreten und sich setzen. Im Übrigen bestand der Boden aus Parkett.
Schlüter sagte, er sei gerade von der Arbeit gekommen und erwarte in wenigen Minuten seine Partnerin. Er zog das Jackett aus und legte es über einen Stuhl am Esstisch, über dessen Lehne schon der Schlips hing. Als er in der amerikanischen Küche begann, Tee zu kochen, wurde die Haustür aufgeschlossen. Ein weibliche Person rief »Ich bin’s«, dann schlug die Tür zu. Schlüssel wurden auf den Garderobentisch gelegt, Schuhe in die Ecke gefeuert, dann kam Veronika Laube ins Zimmer. »Was für ein Tag!«, sagte sie, entdeckte Barbara und schaute überrascht zu ihrem Lebensgefährten: »Besuch?«
»Kripo.«
»Kripo?«
»Ja«, sagte Barbara und stand auf. »Vielleicht haben Sie es in der Zeitung gelesen«, sie deutete auf ein paar Nummern der NNN auf dem Beistelltisch neben der Couch, »eine frühere Mitschülerin Ihres Sohnes wurde Opfer eines Verbrechens.«
»Ja, gelesen habe ich von einem Mord, aber dass sie auch am OG war?« Veronika Laube, die mit Blazer, zartblauer Bluse und einem Goldkettchen auch ohne Schuhe ziemlich elegant aussah, zuckte mit den Schultern. Ihr Haar war durch die Feuchtigkeit etwas in Unordnung geraten, aber es war blond, wie Haar nur sein konnte, und offensichtlich ohne Zuhilfenahme von Chemie. »Warum kommen Sie zu uns? Weil es eine Mitschülerin war? Davon gab es doch Hunderte …«
Barbara schaute scheinbar gleichmütig an ihr vorbei zu Schlüter, der gerade eine schlichte braune Teekanne heiß ausspülte, aber sie sah genau, was im Gesicht dieser Frau vorging: Sie sah Angst. Die Spuren einer Angst, die seit Jahren andauerte. Angst um oder Angst vor dem Sohn?
Frau Laube atmete durch und setzte sich Barbara gegenüber.
»Zuerst dachte ich, Sie kämen wegen meines Mannes …«
»In dieser Sache gibt es leider nichts Neues.«
Darüber schien Frau Laube nicht traurig zu sein.
Barbara fragte: »Wo ist Uwe?«
»An der Uni, nehme ich an. Er hat im September endlich mit einem Studium begonnen.«
Barbara packte sofort das verräterische Wort: »Endlich?«
»Na ja«, Veronika Laube warf einen Blick zu Schlüter, »eine Zeitlang sah es aus, als würde er gar nicht studieren. Das Abitur war zwar trotzdem nicht überflüssig, denn bei der Lehre hat es ihm auch genützt …«
»Was hat er denn gelernt?«
»Tierpräparator«, sagte Schlüter mit einer dezenten Herablassung.
Nachdem Uplegger ihr gesagt hatte, man habe ihren Mann festgenommen, hatte Lisa Meyer einen Wutausbruch gehabt, gefolgt von hemmungslosem Weinen. Unter Zittern und Tränen war herausgekommen, was Aaron in der Wohnung der Toten gesucht hatte: Einen goldenen Ring mit Gravuren und einem Topas, ein Familienerbstück, das ein Wismarer Juwelier Mitte des 19. Jahrhunderts für den Boltenhagener Hotelier Carl August Schultz geschaffen hatte. Seit jener Zeit wurde er zur Konfirmation, später dann zur Jugendweihe in der Familie Schultz an die männlichen Nachkommen weitergegeben, bis zum Vater von Lena und Lisa. Da es keinen Sohn gab, war klar, dass eine der beiden Töchter das gute alte Stück erhalten würde. Lisa war sicher, dass sie es sein würde, weil sie die Ältere war.
»Als dann die Jugendfeier auf mich zukam«, sagte sie, unterbrochen von Schluchzen, »wurde ich immer aufgeregter wegen der Geschenke. Würde der Ring dabei sein? Wissen Sie, es ging mir nicht um den Geldwert, von mir aus hätte er auch aus Blei oder Zinkblech sein können. Für mich war er viel wichtiger als Beweis, dass unser Vater auch mich liebte.«
»Aber sie kriegten ihn nicht?«
Sie schüttelte den Kopf und rieb sich die Nase mit einem nicht ganz reinen Taschentuch.
»Lena bekam ihn. Zu ihrer Jugendfeier! Wenn ich an ihren triumphierenden Blick denke, wird mir heute noch schlecht. Guck mal, Schwesterchen, er liebt nur mich, sagte dieser Blick.«
»Ihr Vater hat Lena bevorzugt?«
»Kaum war sie auf der Welt, war ich abgeschrieben.«
»Sind Sie sicher? Vielleicht haben Sie es nur so empfunden.«
Sie zog verächtlich die Nase kraus und machte eine wegwerfende Geste.
»Das hat meine Psychotherapeutin auch gesagt. Kleine Kinder brauchen mehr Zuwendung, und die älteren Geschwister kommen sich dann oft zurückgestellt vor. Aber es war weit mehr als das. Mein Vater hat Lena nicht nur sehr viel mehr geliebt als mich, mich liebte er überhaupt nicht. Aber der Ring gehört mir! Ich habe einen Anspruch!«
»Verstehe.«
Weitere Kostenlose Bücher