Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Keller dann Wasser läuft?« Barbara grinste. »Dieser offenbar nicht. Er wohnt im achten Stock, Wohnung 816, die Christen im zweiten, Wohnung 222. Sie müssen mir nicht sagen, dass es eine Schnapszahl ist!«
Vielleicht auf Höhe der Straßenbahn-Haltestelle Fischerdorf , eine rein sentimentale Bezeichnung, denn das Fischerdorf war längst Vandalen zum Opfer gefallen, wurde aus der St.-Petersburger die Bertolt-Brecht-Straße. Rechts ragte das Gästehaus Evershagen in die Höhe, das wohl auch Brecht-Tower genannt wurde und noch aussah wie zum Zeitpunkt seiner Errichtung, während seine Geschwister in Lütten Klein längst saniert waren. Barbara versuchte, die Stockwerke zu zählen. Bei neun hielt sie inne, denn ihr fiel etwas ein, das sie sofort ihrem Chauffeur mitteilen musste: »Früher wurden die Hochhäuser dieses Typs ihrer Form wegen Windmühlen genannt. Ob sie heute noch so heißen? Sie haben doch Ihr fantastisches Smartphone …«
»Soll ich das auch noch herausfinden?«, stöhnte Uplegger. Ständig fielen ihre neue Banalitäten ein, die sie unbedingt wissen wollte. »Hat doch aber Zeit?«
»Oh nein, allerhöchste Priorität. Und da erinnere ich mich doch gleich, warum meine Mutter mal mit mir in Dierkow war. Wegen einer Windmühle. Ob die noch steht? Und war es wirklich meine Mutter?«
»Ob Sie mit Ihrer Mutter dort waren, kriege ich ganz bestimmt nicht im Internet raus.« Er bog erst in die Thomas-Morus-Straße und wenig später in den Kranichweg.
»Woher wissen Sie eigentlich, wie Sie fahren müssen?«, fragte Barbara in einem Ton, der sich fast wie ein Lob anhörte.
»Tja«, Uplegger plinkerte mit den Lidern, »ich habe ein Smartphone!«
Er fuhr auf das Schulgelände, stellte den Wagen so nahe wie möglich an den Eingang. Ein kurzer Sprint genügte, sodass sie die Schirme nicht aufspannen mussten. Der Lorbass hatte sie bereits angemeldet. Barbara betätigte die Klingel neben der Tür, auf deren Schild Sekretariat stand. »Ja, bitte?«, erkundigte sich wenig später eine Frau mit jung klingender Stimme.
»Kriminalpolizei«, erwiderte Barbara, und Sesam öffnete sich.
Die Sekretärin war tatsächlich jung und wirkte fast wie eine Schülerin des Abiturjahrganges. Um der Hierarchie Rechnung zu tragen, aber auch, um womöglich schon etwas über Lena Schultz zu erfahren, sprachen Barbara und Uplegger erst einmal mit dem Schulleiter. Auch er wirkte überraschend jugendlich.
Jonas und Barbara hatten sich geeinigt, ihre Ermittlungen mit dem Verschwinden von Lena Schultz zu begründen und das Blut in der Wohnung vorerst nicht mehr zu erwähnen, ja überhaupt die Möglichkeit eines Tötungsdeliktes kategorisch auszuschließen. Freunde hätten die junge Frau vermisst gemeldet, nun ermittle man im Umfeld, zu dem auch die frühere Schule gehöre; oft habe man ja nach dem Ende der Schulzeit noch Kontakt zu alten Klassenkameraden, manchmal ein Leben lang, sodass Schule ein wichtiger Ansatzpunkt der kriminalpolizeilichen Routineuntersuchung sei usw. usf.
Lena Schultz hatte das Ostseegymnasium mit Beginn der 5. Klasse besucht, und zwar von 2001 bis 2009; ereignisreiche Jahre, wie der Direktor – oder Rektor? – stolz betonte. Die Lehrgebäude selbst seien zwar schon saniert gewesen, als Lena ihren Schulbesuch begann, aber die Modernisierung des Sportplatzes, die Neugestaltung des Schulhofes wie auch der Bau der Glasaula seien in jene Zeit gefallen. Von der Zusammenlegung des Ostseegymnasiums und der Ehm-Welk-Schule zum Schulcampus Evershagen hingegen dürfte sie, wenn überhaupt, nur die ersten vorbereitenden Schritte mitbekommen haben.
An die Schülerin konnte er sich schwach erinnern, weil er die Klasse für kurze Zeit in Mathematik unterrichtet, Lena aber, wie er lächelnd bemerkte, wohl keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte. Der Direktor pochte auf die Schülerakte. Barbara wollte sie haben, doch er gab sie wegen des Datenschutzes nicht heraus.
Dennoch konnte er natürlich einiges aus seinem Aktenstudium beisteuern: Lena Schultz hatte zur Zeit ihres Schulbesuches im Kolumbusring 54, also im Stadtteil Schmarl gewohnt. Laut der Akte hieß der Vater Kai und die Mutter Uta, als Beruf des Vaters war Steuerberater, bei der Mutter wissenschaftliche Bibliothekarin angegeben, als Arbeitsort die Universitätsbibliothek. Lena hatte als zweite Fremdsprache Spanisch gewählt, was Barbara und Uplegger ebenso wenig überraschte wie der Umstand, dass sie sich bei der Schulpartnerschaft mit der Internatsschule
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