Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Nim Ja in Guatemala engagiert hatte und bei einer zweiwöchigen Reise nach Santa María Chiquimula im Februar 2009 dabeigewesen war. Sieben Schüler waren damals mitgereist, begleitet von einem Lehrer und einer Lehrerin, allerdings nicht Lenas früherer Klassenlehrerin Kerstin Lindner.
Der Direktor ließ es sich nicht nehmen, seine Besucher persönlich ins Lehrerzimmer zu führen. Barbara erinnerte sich, dass es einst eine Trennung der Lehrerzimmer nach Rauchern und Nichtrauchern gegeben hatte, aber diese Zeiten waren vorbei. Die Schilder, die auf das generelle Rauchverbot hinwiesen, hatte sie längst erspäht.
Frau Lindner hatte noch einige Minuten Unterricht. Da der Schulleiter einen wichtigen Termin hatte, bat er die Kripobeamten, alleine auf sie zu warten.
Uplegger besah sich also den Flyer, den er auf dem Weg durch das Schulgebäude gegriffen hatte. Dabei wurde ihm klar, dass er sich hier in einem Verbund von Regionaler Schule und Gymnasium befand. Die Regionalen Schulen waren das Ergebnis einer von unzähligen Reformen, mit denen das Bildungssystem ruiniert worden war, damit es nun mittels Inklusion beerdigt werden konnte, wenn man Frau Nerdich Glauben schenkte.
Außerdem war der hiesige Campus Europaschule in Mecklenburg-Vorpommern und Agenda 21-Schule*** und Ganztagsschule der Vielfalt . Uplegger spürte, wie Barbara, die neben ihm saß, mitlas, und er wusste genau, was sie gleich fragen würde.
»Was bedeuten denn …«
»… die drei Sterne bei Agenda 21-Schule?«
»Eine Art Einstufung, wie bei Hotels?«
»Ich weiß nicht mal, was eine Agenda 21-Schule ist«, gab Uplegger zu.
»Aber Sie haben doch das Smartphone!«
Bevor Uplegger eine Recherche starten konnte, erschien ihre Gesprächspartnerin.
Kerstin Lindner war höchstens Mitte 30. Mit ihrem langen Blondhaar, grün-blauen Augen und einem rosigen Teint sah sie wie eine richtige norddeutsche Deern aus; und sie sprach auch ein wenig so, als sie sich vorstellte. Sie war schlank, hatte also nichts zu verstecken und trug daher eine enge Jeans, ein T-Shirt und darüber eine graue Kostümjacke. Obwohl sie es nicht nötig hatte, machte sie sich mit Absätzen drei, vier Zentimeter größer. Sie sah wirklich gut aus, und die neidische Barbara bemerkte die leichten Stielaugen ihres Kollegen.
Große Fisimatenten waren nicht nötig. Frau Lindner wusste, worum es ging. So konnte man medias in res gehen. Uplegger stellte die erste Frage, in einem Ton, den Barbara süßlich fand: »Waren Sie die ganze Zeit Lenas Klassenlehrerin?«
»Nein. Es gab einen Wechsel der Klassenleitung in der neunten Klasse. Herr Bärenbach, der bis dato die Klasse hatte, schied aus dem Schuldienst aus.«
»Sie waren also Klassenleiterin von Klasse 9 bis Klasse 12?«
Frau Lindner nickte. »Das heißt, in den Jahren …?«
»2005 bis 2009. Es war eine tolle Klasse!« Wie schaute sie denn Uplegger an? Interessiert? Fasziniert? Funkte da etwas? Barbara mischte sich ein: »Wie würden Sie Lena Schultz mit ein paar Worten charakterisieren?«
Die Antwort kam schnell: »Mir fällt vor allem ein Wort ein: farblos.«
»Farblos?«
»Ja. Man könnte auch zurückhaltend sagen oder schüchtern oder kontaktarm … Lena tat sich durch nichts hervor. Sie war keine schlechte Schülerin, beileibe nicht, aber sie ragte auch nicht heraus, in keinem Fach. Ich weiß nicht, ob sie irgendetwas besonders interessierte. Jeder Schüler hat mindestens ein Steckenpferd, manche auch verrückte, aber etwas, wovon man sagt: Das gehört zu X.Y. wie … wie der Deckel zum Topf.« Sie lächelte – himmelte? – Jonas an, obwohl doch Barbara die Frage gestellt hatte. Die schaute auf Lindners Hände, fand weder einen Verlobungs- noch einen Ehering.
Uplegger hakte nach: »Aber für die spanische Sprache und für Lateinamerika … oder Mittelamerika … oder wenigstens für Guatemala, dafür brannte sie doch?«
»Brannte sie dafür?« Die Lehrerin zog die Stirn kraus. »Ich weiß nicht. Sie hat sich wohl eher ihrer Mutter zuliebe dafür interessiert. Bis Mitte der 90er gab es doch eine Sektion Lateinamerikanistik an der Uni, und dort hat sie gearbeitet. Ich glaube, in der Sektionsbücherei?« Sie hob die Schultern. »Ich kann es nicht mehr genau sagen.«
»Der Direktor meinte, für die Reise nach Guatemala hätte sie sich engagiert.«
»Na, was heißt engagiert? Sie hat gemacht, was man ihr sagte, wie überall. Sie wollte wohl schon gern mit, vielleicht auch der Mutter wegen. Lena war ein Buch mit sieben
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