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Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Titel: Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinstorff-Verlag
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Erinnerungen überfielen sie: 1972 war sie nach dem Krebstod des Vaters nach Rostock gekommen. Zuerst hatten ihre Mutter und sie in der Margaretenstraße gewohnt, dann waren sie nach Lütten Klein in die Turkuer gezogen. Wann war das gewesen? Nach zwei oder drei Jahren, also 1974/75? Es hatte seinerzeit sowohl einen Bahnhof Lütten Klein als auch einen Bahnhof Schmarl gegeben, beide keinen Kilometer voneinander entfernt. Aber der Schmarler Bahnhof war schon nicht mehr in Betrieb gewesen. Was war aus dem Empfangsgebäude geworden? Hatte man nicht einen Jugendklub eingerichtet? Ob der wohl noch da war? Oder wenigstens das Gebäude?
    Schluss mit den Sentimentalitäten! Sie wollte es gar nicht wissen – man lebte schließlich im Heute, und das war schlimm genug.
    Die Nummer 54 des Kolumbusrings gehörte zu einem westöstlich ausgerichteten Hochhaus, das an seiner Westseite über treppenförmige Balkonreihen verfügte, ein Bautypus, den es sonst nur noch in Evershagen gab; als Jugendliche hatte sich Barbara immer gewünscht, eine Wohnung mit einem solchen Balkon zu haben, im obersten Stockwerk. Jetzt kam eine solche Höhe für sie nicht mehr in Frage, denn sollte der Fahrstuhl ausfallen, würde sie nie oder nur mit Hilfe eines Feuerwehrkrans in ihre Wohnung gelangen. Im Übrigen hatte sie auch als Jugendliche schon zu viel Kummerspeck gehabt und war leicht außer Atem geraten.
    Hier gab es nichts zu ermitteln, es ging nur um die Stimmung: Mindestens bis zu Lenas Schulabschluss 2009 musste Familie Schultz hier gewohnt haben. Vielleicht hatten sie ja eine Wohnung mit Blick nach Westen ihr Eigen genannt. Lena war dann nach Lütten Klein gezogen, während die Eltern offenbar ein Einfamilienhaus gekauft, geerbt oder gemietet hatten, denn der Fontaneweg befand sich in einer entsprechenden Siedlung, wenn auch von Plattenbauten umrahmt. Um das herauszufinden, hatte Barbara kein Smartphone gebraucht, ein Stadtplan hatte genügt.
    Annalena Kruse hatte ebenfalls im Kolumbusring gewohnt, in der Nummer 38. Vielleicht wohnte sie noch immer hier: Der Name Kruse stand am Klingelbrett neben der Haustür, aber niemand öffnete. Barbara schaute sich auf der Straße um. Der Blick fiel auf einen kleinen Park, den der Schmarler Bach durchfloss, und dann auf die Schallschutzwände der Warnowallee, die man sicher im Zusammenhang mit dem Warnowtunnel errichtet hatte, als man noch an einen Erfolg dieses Projektes glaubte. Da fiel Barbara plötzlich die Dreigroschenoper ein: Ja, mach nur einen Plan sei nur ein großes Licht und mach dann noch ’nen zweiten Plan gehn tun sie beide nicht. Brecht konnte eigentlich nur die Hansestadt Rostock gemeint haben …
    Von der Oper sprangen ihre Gedanken nach Lateinamerika. Hätte ein Fremder in ihren Kopf schauen können, wäre ihm dieser Sprung zweifellos absurd oder zumindest seltsam vorgekommen, für sie war er logisch.
    »Wussten Sie, dass ich an der 1. EOS im Theaterklub war?«, fragte sie Uplegger, der das Display seines Smartphones betrachtete und anscheinend gerade einer Erkenntnis teilhaftig wurde, denn sein Gesicht begann zu strahlen.
    »Woher sollte ich das wissen?« Sehr interessant fand er ihr jugendliches Engagement für die Bühne offenkundig nicht.
    »Ja, und stellen Sie sich vor, mit 18, 19 befand ich mich auf einem Lateinamerikatrip. Das kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen …«
    »Was hat das mit dem Theaterklub zu tun?«
    »Na ja, mir ging eben ein Song aus der Dreigroschenoper durch den Sinn …«
    »Die spielt nicht in Lateinamerika!«
    »Ach, Uplegger!«
    »Tun Sie mir einen Gefallen? Können Sie präzise und in ganzen Sätzen sagen, was Sie zum Ausdruck bringen möchten?«
    »Also, ich bin damals in diesen Klub gegangen, weil man doch gesellschaftliche Arbeit nachweisen musste und ich keine Lust hatte, in den unteren Klassen das FDJ-Studienjahr zu leiten.«
    »Verstehe.«
    »Sie verstehen also. Prima. Eigentlich war das auch ganz schön mit dem Klub, weil wir oft ins Volkstheater gehen konnten, ich glaube sogar umsonst. Oder jedenfalls für’n Appel un’n Ei. Eben ging mir angesichts des Warnowtunnels der Song Ja, mach nur einen Plan durch den Kopf, der ja das Scheitern aller menschlichen Pläne behandelt. Ich weiß nicht, ob wir die Oper am Volkstheater gesehen haben. Eher nicht, wir haben sie wohl im Musikunterricht durchgekaut. Aber ich habe etwas anderes gesehen, auch von Brecht/Weill, nämlich Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny . So kam ich also vom Warnowtunnel

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