Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Siegeln, auch für ihre Mitschüler.«
Barbara steuerte eine Plattitüde bei: »Stille Wasser sind tief.«
»Sagt man, ohne darüber nachzudenken. Ich weiß nicht, wie tief dieses stille Wasser war.«
»Hatte Lena Freunde in der Klasse? Oder in anderen Klassen?«
»Ich glaube nicht. Sie hatte es auch nicht leicht, wegen ihrer Stimme. Wissen Sie, das war fast eine Männerstimme. Wenn man sie nicht sah, sondern nur sprechen hörte, konnte man wirklich denken, da redet ein Kerl. Ich kann mir vorstellen, dass sie deswegen öfter aufgezogen wurde.«
»Gehänselt?«, fragte Uplegger. »Gemobbt?«
»Also aus der Schule oder Klasse ist mir nichts bekannt. Aber bei einer Klassenfahrt, da saßen andere Jugendliche im Zug, die mit uns nichts zu tun hatten … Lena hat meistens leise gesprochen, aber die haben doch etwas mitgekriegt und sie als Transe bezeichnet. Unter anderem. Es gab wohl noch üblere Worte, regelrechte Beschimpfungen, aber ich kann mich nicht mehr an Details erinnern.«
Barbara fragte: »Sie hat unter ihrer Stimme gelitten?«
»Möchten Sie als Frau eine tiefe, fast männliche Stimme haben?«
»Nein, Sie haben recht, meine Frage beantwortet sich von selbst. Wie war es denn mit so etwas wie einem festen Freund? Muss ja nicht aus der Schule gewesen sein. Manchmal bekommt man so etwas doch mit? Stichwort Klassenfahrt, da hört man, was die Kids so reden …«
»Also mir ist von einem festen Freund nichts bekannt.« Frau Lindner sah jetzt etwas betrübt aus. »Wer in der Klasse miteinander ging, das wusste ich. Man muss schon Tomaten auf den Augen haben, wenn man so etwas übersieht. Vor allem auf dem Schulhof. Beisammenstehen, Händchenhalten, Küsschen … Sie wissen schon! Nein, Lena war ziemlich isoliert. Traurig eigentlich.« Sie seufzte.
»Gab es denn nicht einmal etwas wie eine beste Freundin in der Klasse?«
»Doch, doch. Ich muss überlegen.« Sie schloss die Augen für einen Moment. »Lena hat neben Annalena gesessen … Annalena Kruse. Die beiden waren irgendwie befreundet, ja, doch … Lena und Annalena, das passte ja. Ich weiß, dass sie öfter zusammen Hausaufgaben gemacht haben. Und sie kamen auch morgens zusammen zur Schule, denke ich. Mit dem Rad. Annalena hat ebenfalls in Schmarl gewohnt. Ich habe natürlich nicht täglich das Kommen und Gehen beobachtet, aber ich meine, die beiden haben den Schulweg oft gemeinsam zurückgelegt.«
»Man kann sie also als Freundinnen bezeichnen?«
Frau Lindner nickte.
Im Sekretariat holten sie sich die Anschrift der Annalena Kruse, und Barbara bildete sich ein, Uplegger hinter sich herziehen zu müssen. Der Schulleiter selbst hatte eine Besprechung, die Sekretärin erteilte die gewünschte Auskunft. Doch da war noch etwas, das Barbara auf den Nägeln brannte: »Was ist eine 3-Stern-Agenda-21-Schule?«
»Nun, Sie wissen sicher, was die Agenda 21 ist?«
»Nee«, gab Barbara ehrlich zu.
»Das ist ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm, das Nachhaltigkeit fördern soll«, erklärte die Schulsekretärin, »wobei die 21 für das 21. Jahrhundert steht. Es gibt auch viele regionale und lokale Projekte, bei denen das Motto heißt: Global denken – lokal handeln! Wir beteiligen uns jährlich mit einem Projekt, das von einer Jury als sehr gut eingestuft wurde. Deshalb die drei Sterne.«
Also doch eine Art Hotelkategorie, dachte Barbara, während sie sich einen Hauch zu überschwänglich bedankte. Dann tat sie, was sie schon längst hätte tun sollen: Sie setzte die Phrase Nachhaltigkeit auf die Liste ihrer persönlichen Unworte – in die Nähe von zeitnah .
Mit einem spontanen Schlenker nach Schmarl änderten die beiden Kommissare ihren Tagesplan ab. Dieses Neubaugebiet musste irgendwann Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre entstanden sein, und Barbara erinnerte sich noch an den Baustellenschlamm, der ein Paradies war für allerlei Spiele, bei denen man sich schmutzig machen konnte, auch wenn die Mutter das natürlich nicht wünschte. Auch erstreckten sich damals noch Wiesen oder Felder bis zum Ufer der Warnow, und direkt am Wasser gab es die Hundsburg, einen baumbewachsenen Hügel, wo vor Jahrhunderten eine Burg gestanden haben sollte. Sogar eine wilde Badestelle existierte, aber der Fluss war damals nicht gerade sauber, und auch Bremsen trübten die Badefreuden.
Lang, lang war das her. Barbara verspürte den Stich der Melancholie im Herzen, den bittersüßen Schmerz, wie man ihn wohl in einem Kitschroman nennen würde. Weitere
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