Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
ging die Tür auf, und die beiden Töchter erschienen.
»Wotan weint«, sagte die eine. Ihr Schielen irritierte, denn man vermochte nicht zu sagen, an wen sie ihre Worte richtete. Vanessa fühlte sich jedenfalls angesprochen und sagte: »Pascal?«
»Moment!« Der junge Mann verließ das Wohnzimmer, schob die Mädchen behutsam vor sich her. Uplegger fragte sich, ob sich die Frau jemals von der Couch erhob, außer um dringende Geschäfte zu erledigen und um ins Bett zu rollen. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine Couch Potato. Der Medienkampagne gegen Hartz-IV-Empfänger, die Uplegger manchmal vermuten ließ, es müsse ein Bundespropagandaministerium mit täglicher Befehlsausgabe existieren, lieferte Vanessa jede Menge Nahrung, aber zum Glück war ja keine Presse da. Die bildete sich immer so viel auf ihre Unabhän-gigkeit ein, aber bei Themen wie Kindesmissbrauch oder Hartz IV kam sie ihm manchmal wie gleichgeschaltet vor. Doch vielleicht war es nur der übliche Populismus, vielleicht gab sie einfach Volkes Stimme wieder, um Auflage zu machen.
Vom verwinkelten Flur drang der leise, einfühlsame Klang von Pascals Worten ins Wohnzimmer, mit denen er den Hund und vielleicht auch seine Töchter zu beruhigen suchte, ein Klang, der weder zum Wikingerkreuz noch zu seinem Körperbau noch zum martialischen Namen des Hundes passte. Was er sagte, war nicht zu verstehen, aber es hörte sich fast an, als würde er argumentieren .
Lutze erklärte: »Der Hausmüll wird an einem festen Termin abgefahren. Gestern war es so weit.«
»Gestern?« Uplegger saß plötzlich sehr aufrecht.
Vanessa sagte: »Meistens kommen die vormittags. Also fast immer sogar. Auf jeden Fall vor zwölf.«
»Und der Typ, der die Müllsäcke zu den Containern gebracht hat, der hatte einen Schlüssel?«
»Muss er ja. Übrigens, Pascal ist dann noch mal mit Wotan Gassi gegangen. Er hat den Typen wegfahren gesehen.«
»Ach, wirklich?« Jonas Uplegger spürte, wie seine Handflächen vor Anspannung feucht wurden. »Herr Dombrowski!«, rief er in den Flur.
»Sofort.« Es dauerte dann aber noch zwei Minuten, während der er immer weiter seine beruhigenden Worte murmelte und Türen geöffnet und geschlossen wurden. Als er zurückkehrte, war es ganz still.
Den Mann zu beschreiben, den er erst vom Fenster aus und dann auf dem Parkplatz gesehen hatte, fiel ihm schwer. Er konnte nicht einmal sagen, wie alt er war. Nur aufgrund der Klamotten hielt er ihn für jung, aber das konnte täuschen – es gab eine Menge Männer, die sich mit über 40 noch kleideten wie Teenager. Dunkles Kapuzenshirt, dunkle Hose, helle Turnschuhe, das war alles, was er zu sagen vermochte. Immerhin deckte es sich mit der Beschreibung der Wachschützerin, nur dass die von ihr gesehene Person keinen Hausschlüssel gehabt hatte und daher auch keinen Zutritt zum Bereich der Müllcontainer. Aber vielleicht hatte sie ja den Schlüssel von Lena Schultz an sich genommen.
»Ich bin ziemlich sicher, dass es der gleiche Typ war«, sagte Pascal, der sich zu seiner Frau gesetzt hatte und ihre rechte Hand hielt. Mit der linken rauchte sie. Auch er nahm eine Kippe aus der Schachtel. »Als ich mit Wotan aus’m Haus kam, ist er ganz schnell zum Parkplatz. Da ist er dann in einen Honda und ganz schön schnell abgehauen.«
»Ein Honda?«, fragte Uplegger fast atemlos.
Er nickte. »Hm.«
»Welches Modell?«
»Civic. Schon paar Jahre alt.«
»Ein Honda Civic also, älteres Fabrikat.« Uplegger schaute zu Lutze, der seinen Blick erwiderte: Wow! oder so lautete die Botschaft. »Die Farbe?«
»Dunkel. Dunkelblau.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Absolut.«
»Nicht rot?« Das war eine Suggestivfrage, aber Uplegger war aufgeregt, er merkte es erst, nachdem er sie gestellt hatte.
»Nee, rot bestimmt nicht.« Pascal Dombrowski gab sich Feuer. »Garantiert war der dunkelblau! Irgend’n Typ auf’m Flur hier hat auch so einen. Mann!« Er schlug sich gegen die Stirn.
»Was denn, Herr Dombrowski?«
»Na, vielleicht war der das sogar. Könnte sein, denn irgendwie … Der sah schon irgendwie ähnlich aus. Ach ja, ich glaub, Morbacher heißt der, ein Studi aus Sechs-Null-Sieben.«
Die Diplompsychose trug heute ein enges, rotes Strickkleid, hohe schwarze Stiefel und eine kleine Perlenkette. Die Stiefel waren es, die Barbara den Gedanken eingaben: Diseuse oder Domina? Sofort fiel ihr ein, dass sie Uplegger hatte bitten wollen, einmal herauszufinden, was Diseuse exakt bedeutete. Schuldbewusst registrierte
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