Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
nickte. Kai Schultz ging mit der Kaffeekanne in die Küche. Uta folgte ihm mit dem Blick, dann sagte sie mit gesenkter Stimme: »Es gibt etwas, das Sie wissen sollten. Es war Lena ernst mit der Schauspielerei. Sie hat sich sogar für eine Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Theater beworben. Ein Schauspieler vom Volkstheater hat mit ihr ein paar Szenen einstudiert. Aus Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe und dann noch … warten Sie! Es war Wedekind. Lulu oder Frühlings Erwachen ? Lulu , ja, eine Szene aus Lulu !«
Barbara beugte sich vor. Sie fühlte sich pudelwohl wie lange nicht. »Ist das nicht eine … Verzeihung … eine Hure?«
»Ich glaube nicht, dass man es so sagen kann. Aber ich weiß zu wenig über den Text. Mein Mann soll übrigens nicht wissen, dass sie sich an der HMT beworben hat.«
»Er wäre wohl vehement dagegen?«
»Mein Mann ist Ökonom, Frau Reid…?«
»Riedbiester.«
»Ökonom, Frau Riedbiester. Kein eiskalter und egozentrischer Homo oeconomicus, aber die brotlosen Künste sind aus seiner Sicht nichts für eine junge Frau, die eine Familie gründen soll, damit er noch mehr Enkel bekommt. Einer ist ihm zu wenig.« Sie lächelte liebevoll.
Uplegger, der mit seiner Speichelentnahme nicht zum Zuge kam, widmete sich seinem Smartphone. Aus der Küche waren die charakteristischen Geräusche einer Kaffeemaschinen zu hören: Brodeln und Zischen.
»Wann hat sich Lena beworben?«
»Vor zwei Jahren. Sie lernte bereits bei der Waterkant , wollte aber nebenbei versuchen, an einer Schauspielschule unterzukommen. Rostock hat leider nicht geklappt.«
»Und der Schauspieler, der mit ihr geübt hat?«
»Leider weiß ich nicht, wie er heißt. Er muss ein junger Mann gewesen sein, dessen Ausbildung noch nicht lange zurücklag. Aber der Name?« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat jedenfalls das Brecht-Stück empfohlen. Die Lulu hat sich Lena selbst ausgesucht.«
Uplegger drückte das Smartphone unter dem Tisch in Barbaras linke Hand, die auf ihrem Schenkel ruhte. Sie warf einen raschen Blick zur Tür, in der Herr Schultz mit der Kanne frischen Kaffees erschienen war, dann schaute sie auf das Display:
Die Tragödie in fünf Aufzügen Lulu ist die Bühnenfassung der Tragödien Erdgeist und Die Büchse der Pandora, zusammengefasst zu einem Drama um die Titelheldin, ein weibliches Triebwesen. Wedekind selbst über seine Figur: »In meiner Lulu suchte ich ein Prachtexemplar von Weib zu zeichnen, wie es entsteht, wenn ein von der Natur reich begabtes Geschöpf, sei es auch aus der Hefe entsprungen, in einer Umgebung von Männern, denen es an Mutterwitz weit überlegen ist, zu schrankenloser Entfaltung gelangt.«
Die Wunschrolle einer Pippi Langstrumpf mit Männerstimme, dachte Barbara – nur auf der Bühne oder auch im Leben?
Nachdem Kai Schultz die Kanne abgestellt hatte, schritt Jonas Uplegger zur Tat. Er streifte die Handschuhe über, riss Tupfer und Reagenzglas aus der Schutzhülle und bat Lenas Mutter, den Mund zu öffnen. Wie sie so mit aufgerissenem Mund vor dem sich zu ihr beugenden Uplegger stand, der mit dem Tupfer über Zunge und Mundhöhle strich, sah sie ziemlich albern aus. Und das galt auch für ihren Mann, den er sich im Anschluss vornahm, natürlich mit frischem Tupfer und Glas. Barbara übernahm es, die Reagenzgläser zu beschriften.
Sie hatte bewusst noch ein wenig Rémy im Schwenker gelassen, aber nachdem das Prozedere beendet und die Proben verpackt waren, schenkte Schultz doch noch einmal nach.
Uplegger fragte: »Sind Ihnen noch Personen aus dem Umgangskreis Ihrer jüngeren Tochter eingefallen? Außer Annalena und den Studenten von derselben Etage?«
»Ja, da gehen einem schon Namen durch den Kopf. Von Mitschülern«, sagte Uta Schultz. »Aber können Sie das nicht in der Schule herausfinden?«
»Für uns ist wichtig, zu wem sie näheren Kontakt hatte.«
»Außer Annalena?« Sie wechselte einen Blick mit ihrem Mann. »Da war noch eine Ludmilla, eine Russlanddeutsche. Also die Eltern, sie selbst wurde in Deutschland geboren. Weißt du den Nachnamen?« Kai schüttelte den Kopf, woraufhin sie fortfuhr. »Jana und Corinna, mit denen ist sie ab und zu an den Strand gefahren, wenn Annalena nicht konnte. Aber manchmal auch zu viert. Tja, wer noch?« Sie runzelte vor Anspannung die Stirn. »Da war doch diese … wie hieß sie denn bloß? Mit der war sie erst so dick, und dann lagen sie im Clinch.«
»Ah, ich weiß!«, rief der Vater. »Du meinst die schwarze
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