Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
halbem Ohr zu, da sie sich auf die Titel der Bücher konzentrierte, welche die Spusi in der Wohnung gefunden hatte.
»Sägearbeiten«, murmelte Uplegger in seinen nicht vorhandenen Bart und dachte dabei wohl eher ans Zerstückeln.
Lenas Bibliothek war nicht gerade umfangreich. Neben Lernmitteln aus der Schulzeit, darunter die Spanischbücher La Gente 1 bis 3, hatten die Kollegen ein Wörterbuch kaufmännischer Begriffe , einen Band Dokumentenmanagement , ein Heft über Betriebskostenabrechnung sowie Lehrbriefe für die Ausbildung zur Hausverwaltungskauffrau gefunden, außerdem einen Schauspielführer, ein Theaterlexikon, eine Biografie der Sängerin Shakira und einen Band Brecht Stücke I , den die Wohnungsinhaberin ebenso aus der Stadtbücherei ausgeliehen hatte wie den Reclam-Band Frühlings Erwachen . Außerdem gab es zwei Reiseführer für Guatemala, ein Buch über die Kultur der Maya und ein Kochbuch Cucina italiana regionale Parte 3: Abruzzo , worüber sich Uplegger sicher freuen würde. Auch Wörterbücher hatte Lena besessen, Kompaktwörterbücher für Englisch und Spanisch sowie ein Taschenwörterbuch Spanisch-Deutsch/Deutsch-Spanisch, das sie womöglich für die Reise nach Guatemala gebraucht hatte. Eine Übersetzungshilfe für das italienische Kochbuch war nicht dabei.
Zu der kleinen Kollektion zählte auch nur ein spanischsprachiger Titel, Los rituales del caos , was Barbara ohne Probleme übersetzen konnte. Autor war ein Carlos Monsiváis, erschienen war das Sachbuch 1995 bei Ediciones Era in México D.F. Das Kürzel lenkte Barbaras Gedanken ab, sofort zermarterte sie sich den Kopf, was dieses D.F. bedeutete; das hatte sie schließlich schon gewusst. Und wie sprach man es noch mal aus? De Effe. Und das X in México? Moment, Moment – wie das Ch in Ich. Genau so war es! Und D.F. hieß … es hieß etwas mit Distrikt. Ah, ja, Distrito Federal : Bundesdistrikt.
Mit stolzgeschwelltem Busen konzentrierte sie sich wieder und stellte fest, dass Lena für eine angebliche Leseratte auffallend wenig Belletristik besessen hatte. Es war anzunehmen, dass einiges davon ehemalige Schulpflichtlektüre war, Fontanes Effi Briest etwa oder Der Untertan von Heinrich Mann. Der kleine Prinz, Hundert Jahre Einsamkeit und ein spanisches Buch auf Deutsch – Mein Vater, die Göttin und ich von einem gewissen Ignacio Martínez de Pisón, der Barbara nichts sagte –, das war es eigentlich schon. Wieder glitt Barbara in Grübeleien ab: Warum die Akzente bei Martínez und bei Pisón? Wie waren die Ausspracheregeln, was hatte dazu bei Vladimiro gestanden? Alle Substantive auf … Nein, konzentriere dich auf die Arbeit!
Bemerkenswert fand sie drei Titel aus dem Suhrbier Verlag Solingen. Der erste lautete 99 Romane der Weltliteratur, der zweite 99 Werke der Weltkunst , der dritte 66 Dramen des Welttheaters , was bedeutete, dass es bei den dramatischen Werken einen Mangel gab, der entweder in der Literaturgeschichte begründet war oder bei Suhrbiers.
Alle Substantive, die auf Vokal oder auf die Konsonanten n und s enden …
Nein, verdammt! Diese »Phase« liegt mehr als 30 Jahre zurück! – Roman-, Dramen- und Kunstführer waren in einer Art Reihe erschienen, die ein eigenartiger Untertitel verband: Was Sie wissen müssen, um auf Brillenträger-Partys zu bestehen . Barbara tippte auf kurze Inhaltsangaben, mit deren Hilfe man beim Smalltalk beispielsweise behaupten konnte, man könne das Verbrechen Raskolnikows verstehen, aber nicht gutheißen. Das galt ja für viele Verbrechen, aber wer sprach im Zusammenhang mit Mord und Totschlag schon von Dostojewski? Brillenträger, die taten, als hätten sie Bildung. Brillenträger aus dem Westen, oberflächliche Blender, geschickt in Impression Management, zu denen sich Lena Schultz offenbar hingezogen fühlte. Ich habe wirklich überhaupt keine Vorurteile, dachte Barbara mit einem säuerlichen Schmunzeln.
Eine solche Reihe war schon bizarr. Aber noch bizarrer fand Barbara das letzte Buch, dessen Titel jemand, vermutlich Manfred Pentzien, mit rotem Stift unterstrichen hatte: Die Lust an Lack und Leder.
»Vielleicht kann man los machetes auch bei S/M-Spielen einsetzen«, sagte sie laut.
»Bitte?« Uplegger kam direkt aus dem Mustopf.
»Ich frage mich, nein, uns, ob man vielleicht Macheten auch bei S/M-Spielen einsetzt?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Sie sind doch ein Brillenträger …«
»Ich habe noch nie eine Brille tragen müssen. Aber wie kommen Sie auf diese
Weitere Kostenlose Bücher