Moerder Im Gespensterwald
Miauen unter einen Schrank. Barbara öffnete den ersten Band. Sofort kam ihr die Galle hoch.
Die Artikel über Kindsmissbrauch und Kindsmisshandlung überschlug sie rasch, darüber wollte sie nichts lesen, weil sie schon alles gelesen hatte. Sie nahm sich nach einem angemessenen Schluck den nächsten Band vor und stieß auf einen Bericht mit der Headline Polizisten klagen über hohe Belastung und dem Untertitel In diesem Jahr nahmen sich bereits vier Beamte das Leben. Stress im Dienst, Alkohol, private Probleme .
Alkohol, sieh an! An einen der Suizide erinnerte sich Barbara noch, weil sie an der Untersuchung beteiligt gewesen war: Der Kollege aus Lütten Klein hatte sich nämlich des Mordes an dem Mädchen beschuldigt, dessen sterbliche Überreste nun auf dem Lichtenhäger Dorffriedhof ruhten. Der Täter war er nicht gewesen, aber nun fragte sie sich wieder, was ihn zu dieser Selbstbezichtigung getrieben hatte? Hatte er gehofft, damit unsterblich zu werden? Das war absurd wie … ja, wie? Ein weiterer Schluck: Absurd wie koschere Blutwurst.
Barbara kicherte wegen ihres Vergleichs, dann las sie, dass es eine Bundesarbeitsgemeinschaft Suchtprobleme in der Polizei gab oder damals gegeben hatte. Davon wollte sie nichts wissen, also schlug sie eine weitere Seite auf.
Galle über Galle: Schon 2005 hatten Anlegerschützer vor den Machenschaften jenes Investors gewarnt, der mittels Fördermittelbetrugs die Yachthafenresidenz Hohe Düne aus dem Boden gestampft hatte und nun im Knast saß. Und auch die Bank, die ihm bei seinen Manipulationen assistiert hatte, war kritisiert worden: Alles bereits 2005! Jetzt wurde Barbara richtig wütend. Was saßen denn nur für Hornochsen in den Verwaltungen und Parlamenten, die alle Warnungen in den Wind schlugen? Hatte sich Rostock seinerzeit nicht um die Austragung der olympischen Segelwettbewerbe beworben, und sollte die Residenz nicht auch für die Sportler errichtet werden? Natürlich, das war es gewesen! Deshalb die Gefälligkeitsgutachten, die Rostock bescheinigten, ein idealer Olympiastandort zu sein. Das wäre etwas geworden: Sportler aus aller Welt in einer Stadt, wo das Erste, das sie zu hören bekämen, die Forderung war, gefälligst Deutsch zu sprechen. Koschere Blutwurst! Diese Idiotie konnte man wirklich nur per Kontrollverlust ertragen.
Aber bevor es dazu kam, rief das Telefon sie aus der betrüblichen Vergangenheit in die unbefriedigende Gegenwart zurück.
VIII Albtraum
Der Mann ohne Eigenschaften hatte Barbara, Uplegger und auch Breithaupt in die Dienststelle zitiert. Die Kripo Schwerin hatte ein mehrseitiges Fax geschickt, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
»Es handelt sich um ein Feuer im Ostseebad Boltenhagen«, begann Wendel, »wo der Bungalow eines Rentners niedergebrannt ist. Dieser befand sich in … der Datschenkolonie Frohes Wochenende , der Geschädigte heißt … Manfred Kranbauer und hat seinen Hauptwohnsitz in Grevesmühlen.« Barbara bekam sofort einen Schluckauf. »Er lag während des Brandes in seinem Häuschen und war zuvor niedergeschlagen worden. Die Schweriner haben mehrere Brandherde lokalisiert, das Feuer wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit gelegt.«
»Also Mord«, warf Uplegger ein.
»Noch lebt er Mann. Allerdings liegt er im Koma.«
»Was hat das mit uns zu tun?«, fragte Barbara.
»Nicht so ungeduldig! Du kommst heute sowieso nicht mehr in die Kneipe.«
Barbara ballte stumm die Hände, Wendel fuhr fort: »Der Brand ist heute Morgen gegen 4 Uhr ausgebrochen und muss sich rasend schnell ausgebreitet haben. Auf dem gegenüberliegenden Grundstück hörte das eine Frau namens Beatrix Grunow …«
»Hörte?«, fragte Breithaupt.
»Klar. Den Feuersturm. Und das Bersten von Glas. Was meinst du, was das für einen Lärm macht. Sie rief um 4:21 Uhr den Polizeinotruf, 4:33 traf ein Streifenwagen ein, zwölf Minuten später die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Boltenhagen. 5:11 kam ein Löschzug aus Klütz, 5:29 einer von der Berufsfeuerwehr Wismar. Großer Bahnhof. Der Brand war um halb sieben weitgehend unter Kontrolle. Wegen der Hitzeentwicklung konnte die kriminaltechnische Untersuchung jedoch erst am Nachmittag beginnen. Die Kollegen aus Grevesmühlen und Schwerin haben aber schon die Nachbarn befragt …« Wendel legte eine Bedeutungspause ein, Barbara hatte mit aufsteigender Übelkeit zu kämpfen. Die Orte Grevesmühlen, Klütz und Boltenhagen waren bei ihr mit Erinnerungen verknüpft, die sie aus ihrem Gedächtnis verbannt
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