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Moerder Im Gespensterwald

Moerder Im Gespensterwald

Titel: Moerder Im Gespensterwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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MV tut gut? « Erneutes Blättern. »Am 5. Juni 2009 haben die deutschen Unternehmen der Wadan Yards Group beim Amtsgericht Schwerin Insolvenzantrag gestellt. Da war Kranbauer schon lange weg. Aus gesundheitlichen Gründen ist er übrigens in seinen letzten beiden Arbeitsjahren im Werksarchiv verstaubt.«
    »Als Archivgut?«
    Barbara verzog die Mundwinkel. »Jonas, ich mag Ihre Scherze! Er hat begonnen, an einer Chronik zu schreiben. Keine Ahnung, ob die jemals fertig wurde.«
    »Er interessiert sich für Geschichte?«
    »Sieht so aus, oder? Wenn er Bücher über die Slawen und Archäologie hat?«
    »Auch das verbindet ihn mit Dünnfelder.«
    An der Abfahrt Grevesmühlen zog Barbara den Kopf ein. Sie hatte einen riesigen Betonblock im Magen, ihr Herzmuskel spannte sich, als wolle er weglaufen. Ein Schleier legte sich vor ihre Augen, und unwillkürlich entfuhr ihr ein geflüstertes: »Ich will nicht!«
    »Wie bitte?« Uplegger bremste leicht ab.
    »Ich will nicht zurück in diese Hölle.«
    »Aber …« Er warf ihr einen Seitenblick zu – und sah Tränen. Schon wieder Tränen. Erst Marvin, und jetzt auch noch die Dampframme ! »Haben Sie dort so schlimme Dinge erlebt?«
    »Jo.«
    »Das ist doch aber lange her.«
    »Das habe ich auch gedacht.« Barbara zerknüllte die Blätter auf ihren Knien. »Aber jetzt … Ich glaube, es gibt keine abgeschlossene Vergangenheit. Los, bringen wir hinter uns, was man nicht hinter sich bringen kann.«
     
    Uplegger war verwirrt. Er fuhr die L 3 entlang, zu deren beiden Seiten sich Ackerflächen erstreckten, und bemerkte, dass Barbara zitterte, als hätte sie Fieber. Diskret, wie er war, sagte er nichts. Aber ihr kryptischer Satz kreiste in seinem Kopf: Sie wollte etwas hinter sich bringen, das man nicht hinter sich bringen kann.
    Plötzlich ragte an der linken Straßenseite ein Gestell mit einem riesigen Piratenposter auf; es verkündete, dass über den ganzen Sommer das Open-Air-Spektakel Ein Leben für die See gespielt wurde. Uplegger schaute kurz nach rechts: Barbara hatte das Plakat auch bemerkt. Dass sie dazu keinen Kommentar abgab, war ganz und gar ungewöhnlich, geradezu eine Anomalie.
    »Wohin müssen wir?«, erkundigte sie sich – mit einer Kleinmädchenstimme, die ihm vollkommen fremd war.
    »Zu einem Wohnhaus in der Bahnhofstraße. Wissen Sie, wie wir dahin kommen?«
    »Mein Gott, ich bin seit beinahe 40 Jahren nicht mehr hier gewesen«, die Stimme wurde etwas tiefer und fester, »ich ahne nur, dass sie am Bahnhof beginnt.«
    »Etwas anderes würde mich auch überraschen. Ich stelle das Ziel im Navi ein.«
    »Gut.« Barbara schloss die Augen.
    Uplegger programmierte mit der rechten Hand das Gerät, während er mit der linken das Lenkrad hielt, und wenig später sprach es: »Nach hundert Metern links!« Ein laut Straßenschild Grüner Weg führte durch ein Gewerbegebiet. Dann ging es nach rechts: Mühlenstraße. Noch immer hielt Barbara die Augen geschlossen. »Nach fünfzig Metern links!« Nun blinzelte sie doch. Pelzerstraße, Rudolf-Breitscheid-Straße, ein kurzer Blick zum Park, die schönen Stadtvillen in Bahnhofsnähe: vertraut-unvertraute Orte. In der Breitscheid-Straße hatte ihre einzige Freundin gewohnt, deren Namen sie nicht mehr wusste: Anja? Anna? Antje? Ihr Vater war beim Rat des Kreises beschäftigt gewesen, in der Abteilung Handel und Versorgung, und die halbe Stadt hatte gewusst und ausgenutzt, dass er korrupt war. Beckmann? Bellmann? Behrmann? So ähnlich. »Nach fünfzig Metern rechts!« Da war sie, die Bahnhofstraße.
    Barbara wurde wieder übel. Sie vermochte nicht zu sagen, was sich verändert hatte. Das Chinarestaurant Dong-Fan-Schön war zweifellos nach der Wende eröffnet worden, und bevor sie über den seltsamen Namen nachdenken konnte, entdeckte sie die einstige griechische Spezialitätengaststätte Athen mit einem Schild für Lübzer Bier. Sie war eingegangen, die Fenster waren staubig, fast blind, das Haus stand zum Verkauf – vielleicht mochten die Grevesmühlener keine griechische Küche. Oder keine Griechen. Keine Nicht-Grevesmühlener. Das passte zu ihnen, und den Chinesen duldeten sie bestimmt nur, weil er eine Einheimische geheiratet hatte. Barbara presste eine Hand auf den Bauch, in dem es entsetzlich rumorte.
    Manfred Kranbauers Wohnung lag in einem Backsteinbau von schmutzig-brauner Farbe. Das Haus musste Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden sein, direkt daneben befand sich ein Blumenhaus; auch von diesem

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