Moerder Im Gespensterwald
klopfte Uplegger seine Jacke nach Papiertaschentüchern ab, während Barbara kurzentschlossen ein Blatt von der Küchenrolle riss. »Karina!«, stöhnte Dünnfelder. »Mein Mädchen, meine Prinzessin … Wer weiß, wo Mareike sie versteckt hält!«
»Mareike … ist das Ihre Frau?«, fragte Barbara behutsam. Er nickte. »Sie trauen ihr zu, dass sie etwas mit dem Verschwinden …?«
»Sie ist in der Lage, die Aufmerksamkeit einer Legion auf sich zu ziehen. Wenn sie etwas nicht bekommt, ist sie zu allem fähig, sogar …« Er verstummte.
»Sogar zu einem Mord? Am eigenen Kind?«
»Mein Gott!« Er schlug die Hände vors Gesicht. »Nein, nein … Das nicht! Das … ich hoffe …«, sein Brustkorb hob und senkte sich heftig, »Karina ist für sie ein Druckmittel, aber so etwas … niemals!«
»Aber dass sie Ihre Tochter entführt, um Aufmerksamkeit zu erreichen, das halten Sie für möglich?«
»Ja, leider.« Dünnfelder schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, wie um sich selbst zu ermannen. Die Tränen waren versiegt, er wischte sich das Gesicht mit dem von Barbara gereichten Tuch ab. »So, und jetzt sage ich Ihnen endlich, was heute los war. Kommen Sie, wir gehen wieder ins Arbeitszimmer. Oder soll ich erst einen Kaffee machen?«
Barbara und Uplegger schüttelten zeitgleich den Kopf. Im Arbeitszimmer nahmen sie wieder ihre Plätze auf dem Sofa ein. Dünnfelder setzte sich nicht.
»Wie gesagt, ich stand früh auf. Gegen acht kam Karina zu mir, verschlafen und in jeder Hand ein Kuscheltier.« Er lächelte flüchtig. »Wir haben auf der Terrasse gefrühstückt. Frühstück mit Papa, das liebt sie.«
Uplegger fragte: »Und Mama?«
»Hat geschlafen.«
»Ich denke, sie leidet an Schlaflosigkeit?«
»Sagen wir so: Sie hat im Bett gelegen, gegrübelt und gewartet, dass ich komme und frage, ob es ihr schlecht geht. Karina ging dann in den Garten, um sich aus einem Liegestuhl und einer Decke ein Auto zu bauen. Sie reist so gern … in der Phantasie. Letztes Jahr waren wir im Sommer auf Fehmarn, wo sie sich in einen Jungen aus Kassel verliebt hat. Sie schreiben sich noch. Also was heißt schreiben … es sind Zeichnungen mit ein paar Worten. Karina kommt ja erst in die zweite Klasse. Es war eine richtige kindliche Sommerromanze. Und zu Roman, so heißt der Junge, fährt sie im Liegestuhlauto.« Abermals huschte ein Lächeln über seine Züge, dann wurden sie hart. »Wir mussten den Urlaub abbrechen, Mareike konnte nicht ertragen, dass sich Karina einem anderen Menschen zugewandt hatte. Sie machte ununterbrochen solche Szenen, dass die Kleine nur noch weinte. Es war entsetzlich.« Er schluckte. »Karina malt ihre Briefe heimlich, und ich verschicke sie heimlich.«
»Wann stand Ihre Frau heute auf?«, wollte Barbara wissen.
»Gegen elf? So in etwa. Karina war für halb zwölf mit ihrer besten Freundin verabredet, der Tochter einer Architektin, mit der wir seit Jahren befreundet sind. Sie hat den Umbau unseres Hauses geplant. Der Mann ist übrigens Schriftsteller. Vielleicht kennen Sie ihn? Roger W. Bach?«
»Leider nicht«, sagte Barbara.
»Ich auch nicht«, sagte Uplegger.
»Na, egal. Karina sollte bei Bachs Mittag essen, danach wollten die Mädchen mit ihren Rädern los, in den Gespensterwald, vielleicht auch zum Strand. Um zwei sollte Karina zurück sein. Wir wollten zur Hanse Sail .«
»Hatten Sie keine Angst, Ihre Tochter allein an den Strand zu lassen?«, fragte Uplegger, jetzt ganz Vater.
»Dafür habe ich keinen Grund. Nienhagen ist ein Seebad, hier lernen die Kinder früh schwimmen. Und am Wasser wachen Rettungsschwimmer.«
»Um zwei war Ihre Tochter aber nicht wieder da«, stellte Barbara fest.
Dünnfelder schüttelte den Kopf.
»Ich wartete natürlich erst einmal ab, Kinder vergessen beim Spielen manchmal die Zeit. Um halb drei rief ich Bachs an. Roger sagte, dass seine Tochter gar nicht mit Karina mitfahren durfte, weil sie Stubenarrest hatte. Karina muss sich also allein auf den Weg gemacht haben, irgendwohin …« Jetzt hatte er wieder Tränen in den Augen, und Uplegger verspürte starkes Mitgefühl. Barbara zeigte dagegen eine unbewegliche Kriminalistenmiene.
»Ich schnappte mir mein Fahrrad, fuhr zum Strand, dann an der Steilküste entlang und durch den Wald. Nichts. Noch im Wald rief ich schließlich bei der Polizei an. Ich wusste mir einfach keinen besseren Rat.«
»Das war vollkommen richtig.«
»Sagen Sie«, Barbara beugte sich vor, »wäre es denkbar, dass Ihre Tochter … wegen des
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