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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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Stampfmüllerstraße, denn bis vor einem Dreivierteljahr hatte sie in dem Haus nebenan gewohnt. Nach fast fünfzehn Jahren war ihr die Wohnung dann plötzlich klein und eng erschienen, obgleich sie diese nur mit Bruno teilen musste, der an und für sich nicht viel Platz wegnahm. Trotzdem hatte sie sich nach einer neuen Behausung umgetan. Als dann ein pensionierter Polizeirat nach – wie es in der Zeitung hieß – langer, schwerer und tapfer ertragener Krankheit im Alter von dreiundachtzig Jahren zu früh starb, hatte sie in seine Wohnung in der Langen Straße ziehen können, wo sie nun in großen und hohen Räumen mondän und über ihre Verhältnisse lebte. Bruno aber war dankbar, denn nun hatte er einen langen Flur, auf dem er toben konnte, und bewegen sollte er sich. Barbara seufzte. Ihr Kater hatte noch vor einem Jahr stolze acht Kilo auf die Waage gebracht, doch war es ihr gelungen, ihn auf sechseinhalb zu verschlanken.
    »Da, da, da!«, rief Matthes plötzlich und stach mit dem Zeigefinger in die Luft. »Die Politclowns! Die Volksverräter!«
    Barbara hob den Blick. Über dem Tresen war ein Fernsehgerät angebracht, das praktisch den ganzen Tag eingeschaltet war, meistens aber ohne Ton lief. »Kaspar Guido!«
    Offenbar wurde gerade eine Talkshow gesendet, und mit Kaspar Guido hatte Matthes den deutschen Außenminister gemeint, der just die Lippen bewegte. Ihm gegenüber saß eine dieser devoten Fernsehtussis, die sich viel darauf zugute hielten, mit allen möglichen Prominenten zu kuscheln. Das Fernsehen war auch nicht mehr das, was es nie gewesen war.
    »Noch’n Köhm, Matthes?«, fragte Achim, der Wirt.
    »Immer«, lautete die Antwort. Matthes gehörte zum Inventar der Krummen Ecke . Als Barbara zum ersten Mal einen Fuß in die Kneipe gesetzt hatte, war er schon da gewesen, und das seit Jahren. Er lebte von staatlichen Alimenten, und Barbara fragte sich, wie er davon Bier und Schnaps bezahlen konnte; vermutlich ernährte er sich ausschließlich flüssig.
    »Fang jetzt bloß nicht wieder von Politik an«, sagte der ewig mürrische Nico Böhme. »Davon verstehst du nichts.«
    Böhme saß rechts, Matthes links. Barbara konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn sich die beiden über ihren Kopf hinweg stritten. Schweigend leerte sie ihr Glas.
    »Aber du?« Matthes stürzte seinen Schnaps. »Du hast wohl die Weisheit mit Löffeln gefressen?«
    »Jedenfalls kann ich mehr sagen als nur einen Satz.«
    »Welchen Satz?«
    »Die haben uns von vorne und hinten beschissen«, zitierte Böhme.
    »Aber es stimmt ja!«
    »Ach, Kinder!«, versuchte Barbara zu vermitteln. »Ich bin hier, um meine Ruhe zu haben.«
    Wirt Achim nahm das leere Glas und spülte es aus. Unter dem Zapfhahn stand der Nachschub.
    Nico Böhme beachtete Barbaras Einwurf nicht.
    »Matthes, auch wenn du dein Wissen nur aus der Glotze hast, dürfte selbst dir klar sein, dass zum Bescheißen immer zwei gehören.«
    »Hört euch diesen Spinner an!« Matthes schüttelte heftig den Kopf. »Zum Bescheißen gehören immer zwei! Mann, das ist ja noch genialer als deine Romane.«
    Autsch, dachte Barbara, denn Matthes hatte Nicos wunden Punkt getroffen. Böhme bezeichnete sich nämlich als Schriftsteller, und in der DDR-Zeit war wohl auch eine Novelle in einem Sammelband junger Prosaisten erschienen, den der Rostocker Platzhirsch Hinstorff Verlag herausgebracht hatte.
    Der frisch publizierte Autor war daraufhin zu allen möglichen Förderzirkeln eingeladen worden, aber das war ihm nicht bekommen, denn schließlich hielt er sich selbst für ein hoffnungsvolles Talent. Seitdem Barbara ihn kannte, litt er an einer Schreibblockade, wobei sie sich die Frage stellte, ob diese Hemmung Ursache oder Folge seiner Trunksucht war. Das Einzige, das er zu Papier brachte, war verschüttetes Bier.
    Pläne hatte er natürlich, Romanpläne, und seine Vorhaben wuchsen mit dem Kontrollverlust ins Gigantische. Das Geheimnis der Bestseller hatte er jedenfalls durchschaut: Es sei der kalkulierte Tabubruch, tönte er immer wieder. Das mochte wohl sein, doch weder ihm noch Barbara fielen Tabus ein, die man noch brechen konnte.
    Achim brachte ein Frischgezapftes. Auch Nico verlangte ein weiteres Bier, Matthes einen Korn. Auf dem Bildschirm erklärte ein stummer Finanzminister wenn nicht die Welt, so doch vermutlich eine neue Reform.
    Barbara hatte eine Idee.
    »Sag mal, Nico«, wandte sie sich an den blockierten Autor, »du verkehrst doch in den Literaten- und Künstlerkreisen von Meck-Pomm

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