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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
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Streit in der Garderobe hatte zwischen ihnen absolute Funkstille geherrscht, und so hatte sie nachdenken können. Wenn sie es schon in ihrem Beruf nicht schaffte, klare Enden zu setzen, dann sollte es wenigstens in ihrem Privatleben so sein. Und deshalb würde sie heute Abend mit ihm Schluss machen. Und dazu brauchte sie einen Sauerbraten.
    Tanya war eine merkwürdige Mischung aus erdig und schick, aus Erbsensuppe und Sushi. Sie mochte beides, aber in Krisenzeiten brach bei ihr immer das rheinische Mädchen durch, und keine Misosuppe der Welt konnte sie so beruhigen wie Linsensuppe mit Bockwurst, Frikadellen oder eben Sauerbraten. Und dann gab es nach so vielen kräftigen Kalorien für die Seele wieder zwei Wochen Misosuppe für die gut aussehende Hülle der Seele.
    Sie wollte wirklich nicht schon wieder über die Arbeit nachdenken, aber ihr ging Saschas fröhliches Gesicht am Ende der PK nicht aus dem Kopf. Zählte für ihn wirklich nur, dass die Show weiterlief, egal, was passiert war? War er so ehrgeizig und selbstsüchtig, dass er die Erinnerung an die toten Opfer einfach direkt in gefühlvolle Songs und Auftritte umlenkte, die ihm zum Sieg einer dämlichen TV -Show führen sollten? Plötzlich fiel ihr ein, dass Sascha Lilly am Tag vor der PK im Krankenhaus besucht und dort lange mit ihr alleine geredet hatte – hatte er sie vielleicht sogar überredet, mit der Sendung weiterzumachen?
    Aber war sie selber einen Deut besser? Warum hatte sie nicht auf der PK ihren Ausstieg aus dem Ganzen bekannt gegeben? Lillys Entscheidung hin oder her – was war denn ihre eigene Entscheidung? Ihre Entscheidung – und das wurde ihr mit erschreckender Deutlichkeit klar, während sie nervös einen Bierdeckel zwischen den gepflegten Fingern zerbröselte – ihre Entscheidung war, dass sie müde war. Zu müde zum Aufhören. Zu müde, um ein neues Leben anzufangen. Sie würde diese Staffel zu Ende bringen, sie würde ihren Vertrag erfüllen, einfach weil sie keine andere Kraft mehr in sich spürte. Tanya Beck war die letzte Rolle, die Tanja Becker jetzt noch einfiel. Vielleicht würde ihre Selbstachtung darunter leiden, aber auch dagegen konnte sie gerade nichts mehr tun. Und in diesem Augenblick wurde ihr der wirkliche Grund klar, warum sie heute Abend mit Nils Schluss machen wollte und musste: Egal, ob von ihm oder von jemand anderem – sie war es nicht wert, geliebt zu werden. Nicht so, wie sie jetzt war. Nicht das Mädchen aus dem Wanderzirkus.
    In diesem Moment standen plötzlich der Sauerbraten vor ihr und Nils in der Tür. In einem gebügelten Jackett über der Jeans und mit gefasstem Gesichtsausdruck wirkte er auf einmal richtig erwachsen. Er schaute sich suchend um, und als er sie entdeckte, lächelte er. Hoffnung stand in sein Gesicht geschrieben.
    Tanya seufzte. Es würde nicht einfach werden.
    Eine halbe Stunde später war es geschafft. Sie waren zusammen durch alle Phasen gegangen – von Höflichkeit über Trauer zur Akzeptanz. Er hatte ihre Entscheidung schließlich akzeptiert, besonders weil sie seine eigenen Argumente aus ihrem Streit mühelos wiederholen konnte – ihr Gedächtnis funktionierte so gut, wie es in ihrem Beruf eben sein musste. Einmal Moderatorin, immer Moderatorin, dachte sie leicht bitter – sie hatte schlichtweg während des Streits ihre eigenen Trennungsargumente memoriert: Er hatte recht, im Moment, mit diesen schweren, emotionalen Belastungen im Beruf, dachte sie erst mal nur an sich. Sie konnte jetzt – um ihn zu zitieren – »niemanden reinlassen«. Und außerdem: Das mit den vielen Bildern im Internet, diesem Altar von ihr auf seiner Facebook-Seite, hatte sie doch nachhaltig verstört. »Und deshalb, Nils, muss ich jetzt wieder zurückkehren zu den Grundsätzen, die ich dir schon bei unserem ersten Treffen gesagt habe: Ich schlafe nicht mit Fans!«
    Nils war die ganze Zeit erstaunlich ruhig und vernünftig gewesen, aber nach dem letzten Satz, den Tanya auch wieder etwas zu starmäßig über den Tisch gedonnert hatte, hatte er nichts mehr gesagt. Er war einfach aufgestanden und gegangen. Daraufhin hatte Tanya sich noch ein Kölsch bestellt.
    Jetzt saß sie da, leicht angetrunken, und musste losheulen. Was, wenn Nils ihre letzte Chance auf Glück gewesen war? Was, wenn sie allen Leuten unnötig misstraute? Was, wenn sie allein alt werden würde und immer nur in Brauhäusern säße und Sauerbraten essen und dick und unglücklich werden würde? Wie im Film heulte zu ihren Gedanken plötzlich

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