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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hermanns
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der beiden »Wettermädchen« ergoss sich über die Einleitung. Da dieses Gerede typisch Soulsister-haft vorgetragen werden musste, hatte Sascha keine andere Wahl, als einen Arm in die Hüfte zu stützen und dadurch sofort tuntig zu wirken. Tanya konnte nichts weiter tun, als wenigstens als Einzige sitzen zu bleiben, während der Rest des Studios schon jetzt fast in eine Polonaise ausbrach.
    Die erste Hälfte der Strophe war Saschas Aufgabe, und er sang sich tapfer durch den Text über irgendwelche Geister, die aufsteigen, und dass man jetzt als Frau auf die Straße rennen muss. Tanya sah zu Marco rüber, der einen Heidenspaß an dem von ihm angerichteten Mini- CSD zu haben schien, während der dicke Beatle rechts von ihr verzweifelt lustige Regenhand-Bewegungen machte, um nicht als der ungelenke, doofe Spießer rüberzukommen, als der er rüberkam. Tanya musste kurz an das arme tote Pitterchen denken – der hätte natürlich jetzt schon längst die Studiopolonaise angeführt! Ihr Blick glitt weiter zu Nils’ Kamera, aber er war gerade nicht zu sehen. Sie wunderte sich kurz – es war nicht sein Stil, während des Jobs nicht an seinem Platz zu sein.
    In die zweite Hälfte der Strophe stieg Chantal nun mit der Wucht eines Transen-Tsunamis ein. Alles, was sie eben noch bei Edith Piaf »sensibel« zu drosseln versucht hatte, schoss jetzt aus ihr heraus wie glitzernde Lava aus einem Show-Vulkan. Chantal war jetzt definitiv nicht mehr der kleine dünne Charlie Kraus aus Lippstadt, sie war jetzt eine große schwarze Frau im Gospelfieber, sie war Aretha Franklin, sie war Tina Turner, sie war Donna Summer, die mit ihrem Heer aus muskulösen Legionären in Köln-Ossendorf in dieses Studio einritt, um alle sexuellen Eindeutigkeiten für immer zu vernichten. Als Chantal aufs Jurypult zustöckelte, dachte Tanya noch kurz, die Discoqueen würde sich jetzt live auf Marco, den größten Macho Deutschlands, stürzen und ihn vor laufender Kamera vernaschen, den dicken Beatle zum Nachtisch verspeisen und ihr selbst die Brüste klauen – alles noch vor dem ersten Refrain. Dabei hatte sich Chantal nur gerade entschlossen, die erste Strophe stehend, AUF dem Jurypult, zu Ende zu singen und Marco, ihr und PR -Mc Cartney tiefe Einblicke unter ihren kurzen Rock zu geben, wo bereits ein Glitzer-Stringtanga Discostimmung versprühte.
    In diesem Moment ging Sascha einfach vom Set ab. Er gab auf. Tanya war fassungslos. Das hätte sie ihm nie zugetraut, so kurz vor dem Ziel. Aber er war wirklich nicht mehr zu sehen, sie war sich nicht sicher, ob er nun weinend in die Garderobe abgegangen war oder bei Lilly auf dem Sofa Zuflucht suchte. Im Tohuwabohu des Studios gab es jetzt nur noch die Wetterfee Chantal, die nach ihrer Gogo-Einlage auf dem Jurypult zurück auf die Studiobühne gewackelt war, direkt unter die riesige Discokugel, die extra für die Nummer über ihr heruntergelassen wurde. Sie drehte sich in den letzten Takten vor dem großen Refrain-Mitsing-Moment, und sie wusste, diese Nummer war die ihre, obwohl Sascha im selben Augenblick mit einer riesigen Federboa um den Hals auf die Bühne gelaufen kam und nun direkt ins Publikum rannte, um dort verzweifelt doch noch die Polonaise anzuführen.
    Tanya machte eine innerliche Verbeugung vor ihm. Der Junge gab wirklich nicht auf. Er hatte sich nur optische Verstärkung geholt, um gegen dieses wild gewordene Showschwein überhaupt eine Chance zu haben. Was schwer genug werden würde, denn die Technik gab jetzt wirklich Gas! So schnell hatte sich die Discokugel noch nie gedreht!
    Und mit diesem Gedanken im Kopf sah Tanya, wie sich, quasi in Zeitlupe, die Discokugel aus ihrer Verankerung löste. Sie sah, wie Chantal sich immer weiter drehte, den Kopf zwar nach oben gehoben, aber die Augen in Ekstase geschlossen. Und noch während Tanya aufsprang, sang sie einfach weiter:
    »It’s raining men – hallelujah!«
    Mit einem Riesenrums knallte die Kugel direkt auf Chantals Kopf. Das Publikum schrie auf wie aus einer Kehle. Das Halb-Playback samt Background-Chor sang weiter:
    »It’s raining men – Amen!«
    Tanya wurde ohnmächtig.

WOCHE 9:
    THE WINNER TAKES IT ALL
    Finale
    E-Mails nach der letzten Sendung, Auszüge:

KAPITEL 37
    Als Tanya wieder erwachte, brauchte sie eine Weile, um ihre Umgebung zu sondieren. Sie lag in einem ihr unbekannten Bett, in einem unbekannten Raum, der komplett in Brauntönen gehalten war. Er wirkte wie ein Hotelzimmer, aber dabei war er schmucklos und auch nicht

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