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Mörder und Marder

Mörder und Marder

Titel: Mörder und Marder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Großem und Wichtigem ablenken sollten. Als Matzbach seine Tasche abgestellt hatte, ohne genau zu sehen wo, reichte die Frau ihm zur Begrüßung die rechte Hand. Die Nägel waren in einem warmen Rot-Ton lackiert, der nicht ganz dem des Haars entsprach; die schlanken, kühlen Finger und der Handrücken zeigten dunkle Punkte und Flächen, wie von Verbrennungen oder Verätzungen.
    Baltasar fand einen Kloß vor, als er den Mund öffnete. Er räusperte sich. »Ahemm. Hum. Ihr Anblick, Verehrteste, ist schon allein diese arktische Odyssee wert.«
    Sie hob die linke Braue und zeigte für einen winzigen Moment weiße Zähne.
    Hoff stand daneben und grinste, als ob er sagen wollte: »Sieh da, sieh da, Timothea, die Kraniche von Ibiza.« Oder etwas ähnlich Sinnvolles über Matzbachs Gemüt und den Effekt von Anblicken.
    »Sie müssen die Hexe sein«, sagte Baltasar. »Jorinde von Seyß, wie? Aber dieser Trottel da, Henry, hat Verschiedenes zu erwähnen vergessen. Erstens hat er Sie nicht beschrieben, sonst wäre ich in Bonn geblieben, wegen meiner Seelenruhe. Und zweitens hat er nicht erwähnt, daß Sie auch Alchimistin sind.«
    Sie blickte ihn verblüfft an; dann lachte sie. »Ah so, ich verstehe. Die Säureflecken an der Hand, ja? Sie sind tatsächlich ein in die Breite gegangener Sherlock Holmes, Herr Matzbach. Henry hat uns gewarnt. Ich sehe, er hat recht getan.«
    Der große Raum hatte zwei Fenster zur Hausfront und drei zur Seite. Neben der Tür zur Diele stand ein gigantischer Bauernschrank; an der anderen Seite der Tür lehnte eine wurmstichige Bank. Der Kamin, in dem ein mächtiges Feuer prasselte, nahm fast die ganze Breite der Kopfwand ein; zwischen ihn und die Seitenfenster zwängte sich ein Stapel von Scheiten und Reisig, der die Tür zum Nebenraum versperrte.
    Vor dem Kamin stand ein niedriger Holztisch, dessen ehemals ausgehöhlte Platte mit Kacheln aufgefüllt worden war. Ihn umgaben alte, fläzige Kordsofas und vergammelte Plüschsessel. Ein großer Eßtisch und zehn Stühle mit Riedsitzflächen standen gegenüber dem Kamin, zwischen Bauernschrank und Fenstern.
    Matzbach versank in die Betrachtung der Löwenfüße des Feuerbocks; die alte Kaminplatte wies mehrere kleine Risse und ein kompliziertes Wappen aus verschlungenen Buchstaben, Kronen, großen Greifvögeln und Herrscherutensilien auf: Zepter, Apfel, Hammer und Fallbeil.
    »Aber wenn Henry mich nicht beschrieben hat, woher wissen Sie dann, daß ich nicht eine von den anderen drei bin?« Die Stilettstimme bohrte sich zwischen seine Schulterblätter und löste ein kühles Rieseln aus, das in den Kniegelenken endete.
    Er wandte sich um und zwang sich zu grinsen, trotz der Augen. Ein Teil seines Gehirns suchte nach dem passenden Adjektiv für die grünen Feuer. »Das ist ganz einfach. Gnädigste. Verglichen mit unfähiger Portraitrice, Großscharlatanin und Heraldikmodistin ist Hexe ein beinahe realistischer Beruf. Alles nach dem Leitsatz
mundus vult decipi

    Von einem der Sofas reckte sich ein wuscheliger Schopf. »Ah, ein Humanist. Die
Welt will betrogen sein
, fürwahr.« Der Mann trug ein bräunliches Hemd – Tarnfarbe, die ihn dem Sofa anglich. Soweit er zwischen Kissen und Decken sichtbar wurde, war er verwuschelt, schmuddelig und ein wenig aufgedunsen. Der schmale Mund über dem vorspringenden Kinn paßte nicht zu den teigigen Gesichtszügen. Matzbach fand, dieser Mensch sehe verwahrlost und verfressen aus. Dabei fiel ihm das passende Beiwort zu Jorindes Augen ein: gefräßig.
    »Ignorieren Sie den da«, sagte die Hexe. Es klang, als spräche sie über einen Dunghaufen. »Was wollten Sie sagen?«
    »Ah, eh, hm. Ach ja. Alle leben davon, die Welt an ihrer allegorischen Nase herumzuführen, aber um das erfolgreich tun zu können, braucht man auch äußerlich ein entsprechendes Image. Sehen Sie aus wie eine erfolgreiche Malerin, die so sehr wie eine Malerin aussieht, daß die Düsseldorfer High-Society es ihr glaubt? Nein; dazu sind Sie, mit Verlaub, nicht ätherisch genug. Eine Aktionskünstlerin und Akzidenz-Komponistin? Nein, dazu sind Sie zu diesseitig. Ich weiß jetzt, was ich Ihnen für ein Schildchen anhängen würde, wenn ich Sie auszustellen hätte:
Große Mutter
. Ein beliebiger Snob würde Ihnen niemals die Malerin oder Komponistin abnehmen, eher die
Cocotte grand luxe
. Und bei tütteliger Näharbeit würden Sie zu schnell die Lust verlieren. Von einer Hexe dagegen erwartet jeder, daß sie einfach ganz anders aussieht. Anders als man sie

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