Mörder und Marder
korrigierte er sich: »Des Rudels Kern.« Er machte klickende Geräusche mit seiner Zunge und schalt sich halblaut: »Bah, wie kann man nur so indiskret sein.«
Das erste der drei Zimmer an der rechten Seite des Korridors war ebenfalls leer, wiewohl geheizt und mit Klamotten belegt. Baltasar schüttelte den Kopf, verzichtete auf weitere Türöffnungen und stieg wieder hinab.
»Na, haben Sie was mitgekriegt?« Schuster hatte sich aufrecht hingesetzt; eine der weiland Pferdedecken war malerisch um seine Hüften drapiert.
»Wenn Sie das wimmelnde Leben in seinen vielzahligen Verrenkungen meinen, nein, das habe ich ignoriert. Ich habe mir lediglich erlaubt, ein Zimmerlein für mich zu suchen.«
Damit packte er seine Tasche und den Trenchcoat und stieg wieder nach oben. Er ging in das letzte Zimmer auf der linken Seite, über der Küche. Die Einrichtung war karg: ein Bett, ein Schrank, ein wackliger Stuhl, ein ebensolcher Tisch und ein Kommödchen mit Leselampe. Es roch muffig.
Baltasar ignorierte die gräßlichen Blumen der Vorhänge, riß das vereiste Fenster auf und starrte in das Schneeschütten hinaus. Über dem Fenster ragte das Dach vor, und von der Dachrinne hingen Eiszapfen, einer schöner als der andere. Matzbach kletterte auf die Fensterbank, hielt sich am Rahmen fest, streckte den Arm aus, so weit er konnte, und erreichte einen besonders schönen, wurmförmigen Eiszapfen mit den Fingerspitzen. Er beugte sich noch weiter vor, bis der Rahmen zu knirschen begann; endlich konnte er die Finger um das ersehnte Objekt legen.
»Teufel auch, muß das hier kalt gewesen sein«, murmelte er. Es kostete Kraft, den Eiszapfen abzubrechen. Er stieg wieder ins Zimmer, musterte seine Beute freundlich und steckte sie in den Mund. »Ah, Durst«, nuschelte er dabei.
Zuerst ließ er sich auf die Knie nieder und brachte das Öfchen in Gang. Auf einer Blechplatte lagen Briketts gestapelt, und auf dem Kommödchen hatte er eine Schachtel mit Anzündern gesehen. Als der Ofen brannte, ärgerte Baltasar sich über die schwarzen Hände, die ihn an wesentlichen Dingen hinderten.
Murrend und knirschend wanderte er über den Korridor zum Bad, verschloß seine Ohren, als er die beiden letzten Türen passierte, wusch sich die Hände und kehrte in seine Kemenate zurück. Das alte Metallbett war breit, die einteilige Matratze hing in der Mitte durch. Im Schrank fand er ein Kopfkissen und saubere Bezüge, außerdem Laken und einen Stapel Wolldecken. Er bereitete alles für einen schnellen Schlaf vor und warf dann noch einen mißtrauischen Blick in den Schrank. »Wahrscheinlich«, sagte er halblaut, »werde ich ohnehin nicht schlafen können. Es sei denn, die Holzwürmer stellen über Nacht das Jodeln und Grölen ein.«
Das Öfchen zog; im Zimmer roch es schon nicht mehr so muffig. Matzbach schloß das Fenster, nachdem er den Rest des Eiszapfens ausgespien hatte. Aus seiner Tasche nahm er trockene Socken und ein Buch. Die Socken zog er an, das Buch klemmte er sich unter den Arm. Dann ging er wieder hinab.
»Was lesen Sie denn da?« Gaspard Schuster hatte in einem Schub von Aktionismus das Sofa verlassen und eine Kanne Kaffee gebraut. Die Decke schleifte über die Bohlen, der Marder quengelte unterm Arm, und die bloßen Füße des Tierverleihers waren ebenso schmutzig wie seine Finger. Baltasar schüttelte sich, nahm aber den Kaffee an.
»Horaz«, sagte er. Er hielt das Lederbändchen hoch; auf dem Rücken stand in roten Lettern
Quinti Horatii Flacci Carmina
. »Er begleitet mich, wenn ich eine Reise antrete, an deren Ende Schmutzfinken, Verrückte und sonstige Akademiker warten. Die Dummheit läßt sich so leichter ertragen.«
Schuster nickte. »Eine vernünftige Einstellung. Haben Sie auch Lektüre dabei, die Sie Ihren Mitmenschen geben, damit die es mit Ihnen besser aushalten?« Er schlurfte zurück zum Sofa, ließ sich fallen und wühlte sich in die Decken, bis nur der Kopf zu sehen war. Und die Hand mit dem Kaffeebecher. Der Marder zeitigte Verwerfungen und zischelte, blieb aber unsichtbar.
Matzbach inspizierte den Kamin und warf zwei frische Scheite zwischen die Löwenfüße. »Da, friß. – Um Ihre Frage zu beantworten: Nein, so was führe ich nicht. Ich bin ein autonomer Charakter und erwarte solches auch von denen, die das Risiko meiner Bekanntschaft eingehen. Bin ich denn der Buchhüter meines Stiefbruders?«
Schuster schnüffelte an seinem Kaffee. »Die Umtriebe da oben interessieren Sie gar nicht?«
Baltasar setzte sich
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