Mörder und Marder
und Waldwiesen, mit denen er nichts anfangen kann. Wir arbeiten zusammen; er stellt die Leute und den Grund, ich die Zäune und Tiere. Gemeinsam hegen und pflegen wir da Rot- und Damwild. Ob die Tiere nun im Herbst von Knallköppen erlegt werden oder ob man sie schlachtet, das Fleisch schmeckt gleich. Wenn wir mehr Erfahrungen mit dem Vertrieb haben, werde ich dem Bisoneinfall nähertreten.«
Baltasar nuckelte an seiner Zigarre. »Gute Aussichten. Ich bin ein großer Wildfreund. Kaum jemand ist mir sympathischer als ein totes Reh in Burgunder. Aber Ihre Schafe.«
Schuster nickte. »Zehntausend hab ich. Im Winter sind sie bei mir, in Ställen und überdachten Pferchen. Bis zur Schur. Danach verleihe ich sie. Ich nehme fünf Mark pro Stück pro Monat. Dafür fressen sie anderen Leuten das Gras weg. Mir bringen sie Wolle und Fleisch und fünfzigtausend pro Monat, etwa sechs Monate lang. Im Moment entsteht außerdem eine Käserei.«
Zu ihren Häuptern entstand Lärm. Röhrende Verwünschungen mischten sich mit spitzen Schreien. Schuster kicherte in sich hinein; Matzbach nutzte die Gelegenheit, wieder zu Horaz zu greifen.
Jemand kam die Treppe herab, stampfte durch den Flur, trat gegen die Tür, hieb die Klinke hinunter und fiel ins Zimmer ein: ein stämmiger Mann mittlerer Größe mit relativ kurzen Beinen. Die Relativität war insofern bemerkbar, als er nichts trug, um die Blößen seines gedrungenen Rumpfs zu bedecken. Genauer: nichts außer einem zappelnden Vespasian in breiten, schaufelartigen Händen, in Höhe der Familienjuwelen. Das breite Gesicht unter der beginnenden Glatze war rot angelaufen, und die mächtigen Kiefer mahlten, als sei die Wut zu Maiskörnern geronnen. Er fletschte die Zähne, gönnte Matzbach einen Blick, den dieser als »arg überzwerch« einstufte, und warf den Marder Richtung Sofa, ehe er wortlos verschwand und die Tür zuknallte.
Vespasian stieß schrille Laute aus. Schuster fing ihn auf und streichelte ihn. Zum Dank wurde er gebissen.
»Angst vorm Fliegen, was?« sagte Baltasar.
Schuster lutschte an seinem Finger und stopfte den Marder unter eine Decke. »Au. Übrigens haben Sie eben den Totengräber gesehen. Heinrich Genenger, Besitzer eines Privatfriedhofs in der Eifel.«
»Das dachte ich mir.«
Schuster lehnte sich zurück, holte den halbwegs beruhigten Vespasian wieder hervor, nahm ihn in die Arme und kraulte ihn ausgiebig. Das Tier stieß knurrende und knarzende Töne aus, die leiser wurden. Schuster senkte den Kopf, als wolle er Vespasian näher inspizieren, aber plötzlich hörte Baltasar sanftes Schnarchen. Leise stand er auf und ging in die Küche. Er durchsuchte alle Kammern und Schränke, vergebens. »Kein Schnaps in diesem Schnapsladen«, murrte er.
Er stand ratlos vor dem Herd; dann füllte er einen Becher aus der Kaffeekanne, einem zerbeulten Blechgerät, das blubbernd auf einer Nebenplatte stand. Er ging wieder zurück zu Horaz. Schuster und Vespasian schlummerten eng umschlungen. Vor dem Fenster hing immer noch Schnee, es wurde jedoch zusehends dunkler. Matzbach versenkte sich in einem Sessel, hinter dem eine Stehlampe mit magenförmigem Schirm im Stil der 50er Jahre stand. Die Birne war matt, gab aber genug Licht zum Lesen.
Nach und nach dämmerte Baltasar mit dem Tag dahin. Anders als dieser fuhr er jedoch empor, als in der Küche Teller klapperten. Schuster schnarchte; der Marder wimmerte unrhythmisch, als jage er im Traum etwas Eßbares, das den Nachteil übertriebener Hurtigkeit besaß. Der Kamin war fast leergebrannt, und vor den Fenstern hing das Halbdunkel des Abendschnees. Matzbach klomm aus dem Sessel, legte Holz nach und blies in die Glut, bis Flammen aufwärts leckten. Dann begab er sich in die Küche, wo er ein beschauliches Bild in Bewegung fand.
Eine große, fast hagere Frau mit brennenden schwarzen Augen und stumpfem schwarzen Haar schmierte Brote. Sie trug ein kragenloses, antikes Anstaltsnachthemd, Filzmokassins und über diesen Samtgamaschen undefinierbarer Farbe. Ihre Finger waren dürr und knochig; die Ellbogen stachen durch den Stoff.
»Sie müssen Adelheid Koslowski sein«, sagte Matzbach. Er nannte wohlerzogen seinen Namen.
»Schwer zu erraten, wie?« sagte die Frau, ohne das Gesicht zu verziehen. »Jorinde, Evita und Susanne kennen Sie ja schon.«
Baltasar nickte. »Erstaunlich, Ihre Kombinationsgabe. Andere Leute kommen nicht einmal bis drei, und Sie sogar noch eins weiter.«
Sie zählte die Brote. »Sieben«, sagte sie; ihr
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