Mörderbrunnen (German Edition)
seine Arbeit und Jenny trat näher. In der Mitte der Plattform befand sich eine Art Fahnenmast mit einem Wetterhahn drauf. An diesen Mast war eine nackte Leiche mit Seilen um Brust und Beine gefesselt. Der Kopf mit dem dunkelbraunen Haar war nach vorne gesunken, der Körper von oben bis unten blutverschmiert.
„ Meine Güte! Soviel Morde haben wir sonst in einem halben Jahr.“
„ Ja, wirklich merkwürdig. Gibt’s denn schon irgendetwas Neues?“
„ Fast nichts. Und die paar Spuren, die wir haben, verlaufen im Sande.“
Jenny nickte den Leuten von der Spusi zu, die ausschwärmten, um den Fundort und etwaige Spuren zu sichern. Vorher konnte Jenny sich die Leiche nicht näher anschauen.
„ Der Prof ist hoffentlich auf dem Weg?“
„ Der Prof?“
„ Dr. Schwind meine ich, wir nennen ihn so.“
„ Ach, ist das der schicke?“
Jenny lachte. „Genau der, wenn man vom Teufel spricht.“
Wie gerufen kam der Prof die Treppe hinauf, gekleidet in helle Leinenhosen, ein beiges Hemd und hell beige Wildlederschuhe. Mit mürrischem Gesichtsausdruck kam er auf Jenny zu.
„ Geben Sie es zu, Frau Becker, das machen Sie absichtlich. Sie lassen mich beobachten und warten, bis ich mich einer besonders angenehmen Freizeitbeschäftigung hingebe, dann organisieren Sie von irgendwoher eine Leiche und lassen mich rufen.“
„ Mitnichten, Herr Doktor, ich wäre jetzt auch lieber irgendwo anders“, antwortete sie lächelnd. „Immerhin ist es hier fast sauber und trocken und der Tote scheint auch frisch zu sein.“
„ Das macht es auch nicht besser. Ist die Spusi endlich durch? Was brauchen die nur immer so lange? Ich habe Gäste zum Abendessen und würde gerne den Nachtisch noch mitbekommen.“
Jenny zwinkerte ihrem Kollegen vom Streifendienst, dem sichtlich ungemütlich wurde, beruhigend zu.
„ Da dürfen Sie nichts drauf geben. So ist er immer.“
„ Das habe ich gehört, Frau Becker. Klar bin ich immer so. Ich werde ja auch immer gestört. Könnt ihr die Leichen nicht mal tagsüber finden? So am späten Vormittag wäre mir am liebsten!“
Der Leiter der Spusi trat zu ihnen.
„ So, wir sind fertig. Sollen wir ihn losmachen oder wollen Sie ihn erst anschauen, Doktor?“
„ Moment, ich werf einen kurzen Blick drauf.“
Jenny folgte ihm, bis sie unmittelbar vor dem Mast standen. Das Bild des festgebundenen Mannes war bizarr und erinnerte irgendwie an einen Marterpfahl.
„ Gut, bindet ihn vorsichtig los und legt ihn auf die Plane. Sieht aus wie Einschusslöcher und zwar eine ganze Menge. Naja, die zählen wir im Institut. Sonst keine Verletzungen. Dreht ihn mal, damit ich die Temperatur messen kann. Okay, mehr kann ich hier nicht machen, ab mit ihm in die Gerichtsmedizin. Nein, Frau Becker, ich sehe Ihnen die Frage schon am Gesicht an. Ich werde die Obduktion erst morgen früh durchführen, jetzt geh ich wieder zu meinen Gästen. Die Todeszeit sag ich Ihnen auch morgen, aber länger als einen Tag dürfte er nicht tot sein, ich tippe auf vierundzwanzig Stunden. Die Leichenstarre lässt schon wieder nach.“
Mit resigniertem Gesicht stimmte Jenny zu. „Na gut, dann fahr ich wieder zurück und schau die Vermisstenmeldungen durch. Hier kann ich ja nichts mehr machen. Wie alt wird der ungefähr sein?“
„ Also sicher deutlich über fünfzig, sehr gepflegt, würd mich wundern, wenn der nicht bei der Maniküre war.“
„ Hm, dann sollte ihn doch auch jemand vermissen.“
Sie seufzte. Und wieder so ein merkwürdiger Fundort. „Den muss doch jemand hergebracht haben. Langsam kommt mir das spanisch vor.“
„ Das ist ja zum Glück euer Problem!“
„ Tschau.“ Sie schaute noch kurz zu, wie die Leiche in einen Leichensack verpackt und abtransportiert wurde und verabschiedete sich dann. Mittlerweile war es nach halb elf und die Straßen waren leer, so dass sie innerhalb von zehn Minuten im Präsidium war.
Nachdem sie sich einen Kaffee gekocht hatte, nahm sie sich die Vermisstenmeldungen vor und wurde sofort fündig. Lothar Wegener, Autoverkäufer, dreiundfünfzig, vermisst seit heute Morgen. Seine Frau hatte die Polizei angerufen, als sein Bett beim Wecken leer war. Er wohnte im Westend, nicht weit vom Eschenheimer Turm.
Die Beschreibung passte auf die Leiche, soweit Jenny sie hatte betrachten können. Ein Foto des Vermissten war noch nicht online, also machte sie sich selbst auf den Weg in die Vermisstenabteilung. Dort saß ein verschlafener Kollege am PC und scannte Fotos ein.
„ Da komm ich ja
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