Mörderische Aussichten
Hunden?«, fragte ich.
»Da liegen überall Stöcke herum. Wenn sie zu nahe kommen, nehmen Sie sich einen und tun einfach so, als wollten Sie ihnen
eins überbraten. Ich glaube aber nicht, dass sie Sie belästigen.« Sie deutete nach rechts. »Das ist mein Wohnwagen. Nur ein
paar Meter, aber ich warte hier auf Sie, falls Ihnen die Hunde Angst machen.« Sie drehte sich zum Wohnwagen um und brüllte:
»Sunshine! Wir haben Besuch!«
Die Hunde begannen zu heulen.
»Siehst du irgendwo Stöcke?«, flüsterte Schwesterherz.
»Massenhaft.«
»Gehen Sie voran, Meemaw«, sagte sie. Und dann zu mir: »Marco!«
»Polo!«, schrie ich, während wir aus dem Auto hechteten und hinter Meemaw die Stufen des Wohnwagens hochstürmten.
Die Tür schlug hinter uns zu, und die Gefahr war gebannt. Wir blickten uns grinsend an, um uns im nächsten Moment auf dem
Boden wiederzufinden. Meemaw war mit einem Mal schreiend stehen geblieben, was dazu geführt hatte, dass Schwesterherz und
ich sie im Weiterlaufen umrissen.
Später bat der Sheriff Mary Alice und mich immer wieder, ihm zu erzählen, welches die genauen Umstände waren, als wir in den
Wohnwagen traten, aber alles, andas wir beide uns noch erinnern konnten, waren Verwirrung und Bestürzung.
Ein paar Minuten lang wussten weder Schwesterherz noch ich, dass wir zu viert auf dem Boden lagen. Ich dachte, Meemaw habe
geschrien, weil Schwesterherz auf sie gefallen war. Eine vernünftige Schlussfolgerung. Ich weiß nicht, was meine Schwester
dachte, aber bei ihr fiel der Groschen auf jeden Fall schneller, als Meemaw plötzlich anfing, »Ruft die Polizei! Ruft die
Polizei!« zu schreien. Sie war auch diejenige, die Meemaw half, sich aufzusetzen, und als untersten Bestandteil des Stapels
einen Mann entdeckte. Einen Mann, dem etwas in der Brust steckte, das nach einem sehr langen Messer aussah. Einen verdammt
toten Mann.
»Ruf die 911 an, Maus«, sagte Schwesterherz mit ruhiger Stimme. Dann streckte sie alle viere von sich und schloss die Augen.
»Sunny!«, schrie Meemaw. »Sunshine!«
»Wo ist das Telefon?«, fragte ich.
»Auf dem Küchentresen. Sunshine! Wo bist du?«
»Ein toter Mann«, war alles, was ich gegenüber der Frau, die den Notruf entgegennahm, herausbrachte.
»Ihr Name und Ihre Adresse?«
»Ich bin Patricia Anne Hollowell, und o Gott, ich weiß nicht mal, wo ich hier bin.« Ich drehte mich zu Meemaw um. »Wo sind
wir?«
»Primose Lane. Turkett-Lager.«
Ich gab die Information an die Dame am Telefon weiter, die daraufhin wissen wollte, ob wir einen Krankenwagen benötigten.
»Schicken Sie alles, was Sie haben. Der Mann ist tot und hat ein Messer im Leib.«
»Und der Name des Verschiedenen?«
»Meemaw, wer ist der Mann?«
»Zum Teufel, ich weiß nicht, wer das ist. Aber in ihm steckt mein gottverdammt gutes Schweineschlachtmesser.«
»Sie weiß nicht, wer es ist, aber in ihm steckt ihr gottverdammtes Schweineschlachtmesser.«
»Ich sorge dafür, dass in ein paar Minuten jemand da ist«, sagte die Dame in der Notrufzentrale. »Legen Sie einfach auf, Mrs
Hollowell.«
»Das mache ich, danke. Aber vielleicht sagen Sie besser noch den Rettungsleuten, dass sie Stöcke haben sollten wegen der Hunde.
Ich denke, es sind Pitbulls.«
»Ja, Ma’am. Stöcke wegen der Hunde.«
Ich drehte mich um und warf einen Blick auf die Szene. Schwesterherz und der Mann lagen nach wie vor beide auf dem Boden,
aber Mary Alice hatte sich ein Stück weiter zum Sofa hin bewegt. Meemaw saß neben ihr.
»Mein gutes Schweineschlachtmesser«, sagte Meemaw ein weiteres Mal. »Und wer zum Teufel ist das, und wo ist Sunny? Hier ist
ihre Suppe. Ich habe nicht mal was verschüttet.«
»Ich stell sie in den Kühlschrank«, sagte ich. Und dann ging ich um den kleingewachsenen Mann mit dem dunklen Anzug und dem
Schweineschlachtmesser in der Brust herum und ließ mir von Meemaw den Styroporbehälter mit der Suppe geben.
»Sunny!«, schrie sie. »Ich weiß, dass du da bist. Antworte mir, Mädchen, auf der Stelle, oder es gibt eins auf den Hintern.«
Schwesterherz öffnete eine Sekunde lang ihre Augen, um sie dann wieder zu schließen.
4
Mary Alice und ich haben auf traumatische Situationen schon immer unterschiedlich reagiert. Sie neigt zu körperlichen Reaktionen,
was bedeutet, dass sie gelegentlich in eine tiefe Ohnmacht fällt, was dieses Mal eventuell auch der Fall war. Ich hingegen
distanziere mich innerlich von der Situation. Schwesterherz beschreibt
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