Mörderische Aussichten
Vierzig Grad habe ich zuletzt gehört.« Sie lehnte sich gemütlich für ein nettes
Schwätzchen zurück.
Ich löste meine Sandalen von dem Fliesenboden. Das schmatzende Geräusch erinnerte sie an den Grund ihres Anrufs.
»Hör zu, hier ist eine Frau, die nach ihrer Schwester sucht. Der Name ist so ähnlich wie Turkey. Hitzschlag. Ist sie in der
Notaufnahme?«
»Turkett«, sagte ich. »Mary Louise Turkett. Das ist die Patientin. Meine Schwester ist bei ihr.«
»Mary Louise Turkett«, übermittelte Grace. Sie lächelte mich an und formte mit den Lippen die Worte »Einen Moment«, dann sagte
sie laut: »Nicht mehr in der Notaufnahme? Okay. Danke, Myrtice.« Grace legte auf. »Sie liegt auf der Intensivstation im siebten
Stock.«
»Danke.« Ich lief zum Aufzug, leicht besorgt wegen Mary Alice. Sie hatte so nachdrücklich von einer Viertelstunde gesprochen,
und gewöhnlich ist sie pünktlich. Aber als ich den Warteraum der Intensivstation betrat, saß sie dort an einem Kartentisch
und spielte Gin Rommé mit Kerrigan und Howard.
Kerrigan sah mich als Erste. »Lieber Gott, Mrs Hollowell, was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Ich bin gestern Abend gestürzt.«
Schwesterherz blickte auf. »Ist die Viertelstunde schon um?«
»Viele Viertelstunden.«
»Gin.« Schwesterherz legte ihre Karten ab; Kerrigan und Howard stöhnten.
»Sie hat uns völlig abgezockt«, seufzte Howard.
Ich sank auf ein Sofa. »Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Nicht besonders gut«, sagte Howard. »Sie pumpen sie voll mit irgendwelchem Zeug.«
Schwesterherz mischte die Karten. »Machen irgendwas mit elektrischem Licht.«
»Elektrolyten?«
»Wie auch immer. Ich bin kein Arzt.« Schwester reichte Kerrigan die Karten. »Nora, Eddies Frau, ist jetzt bei ihr.«
Kerrigan begann die Karten auszugeben. »Sie war im Haus auf dem Redmont Crest, als Mama dort krank auftauchte. Sie und Eddie
leben im Augenblick getrennt,aber sie war dort, um ein paar Kleider zu holen, und hat die 911 gewählt.« Kerrigan machte eine kurze Pause. »Wollen Sie mitspielen,
Mrs Hollowell?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Persönlich«, fuhr Kerrigan fort, »glaube ich, Nora war da, um nach Sunshine zu sehen. Sie haben ein enges Verhältnis. Nora
hat ihr auch bei der Miss-Alabama-Wahl geholfen.«
Das weckte mein Interesse. »Sunshine hat bei der Miss-Alabama-Wahl mitgemacht?«
Kerrigan nickte. »Im letzten und in diesem Jahr. Letztes Jahr war sie brünett und kam nicht ins Finale. Dieses Mal ging sie
deshalb als Blondine hin. Kam aber wieder nicht ins Finale.«
Alle nahmen ihre Karten auf und ordneten sie.
»Was ist denn ihr besonderes Talent?«, fragte ich.
»Fliegenfischen«, sagte Howard. »Sie ist sehr gut darin.«
Ich dachte an die Bühne an der Samford-Universität, auf der die Miss-Alabama-Wettbewerbe abgehalten werden. Fliegenfischen?
»Sie spielen die Musik von ›Aus der Mitte entspringt ein Fluss‹, und Sunshine führt einen kleinen Tanz dazu auf, zu dem sie
die Angel auf irgendwelche Ziele wirft. Dieses Jahr hatten sie und Nora entschieden, die Watstiefel wegzulassen und sie in
einen Badeanzug zu stecken, aber sie hat es trotzdem nicht ins Finale geschafft.« Kerrigan streckte die Hand aus und zog eine
Karte. »Sie war aber nicht allzu enttäuscht. Sie hatte ja die Reise nach Bora Bora noch vor sich.«
Ich stand auf und trat ans Fenster. Alles schien normal dort unten auf der Nineteenth. Nur, dass mein Auto, das ich vor dem
Parkhäuschen gelassen hatte, verschwundenwar. Und ich hatte kein Parkticket, keine Chance, es zu identifizieren.
»Hat irgendjemand etwas von Sunshine gehört?«, fragte ich.
»Nein. Gin.« Howard haute seine Karten auf den Tisch.
»Wo sind Pawpaw und Eddie?«
»Eddie musste wieder arbeiten gehen, und was Pawpaw angeht, so haben wir beschlossen, es ihm erst zu sagen, wenn wir wissen,
was los ist, wegen seiner Anfälle«, erklärte Kerrigan.
»Wie haben Sie das so schnell geschafft?«, fragte Schwesterherz Howard. »Diesmal haben Sie mich wirklich kalt erwischt.«
Ein junges Pärchen schob eine ältere Frau in einem Rollstuhl in den Warteraum.
»Wir müssen gehen, Schwesterherz«, sagte ich. »Bis wir mein Auto ausfindig gemacht haben, werden wir sonst im Berufsverkehr
stecken.«
»Okay.« Mary Alice schob ihren Stuhl zurück. »Rufen Sie uns an, wenn wir irgendetwas tun können oder wenn eine Veränderung
eintritt.«
»Machen wir«, versprach Kerrigan. »Und Sie lassen es uns wissen, falls
Weitere Kostenlose Bücher