Moerderische Dividende
war innerhalb von fünf Minuten auf dem Weg zu Debbie.
Debbie öffnete mir die Tür mit einem heiteren und lauten »Nanu, Tante Pat, das ist ja eine Überraschung, komm rein. Rate mal, wer hier ist!«.
Dieses Mädchen wird niemals in der Oscar-Nacht mit ausgestreckten Armen dastehen und sagen: »Ich liebe euch alle!«
Meine Performance war aber keineswegs besser.
»Oh?« sagte ich ebenso fröhlich. »Wer denn?«
»Lisa. Sie ist gerade aus Atlanta gekommen.«
»Lisa? Wie wundervoll!«
Ich betrat hinter Debbie das Wohnzimmer, wo meine Schwiegertochter auf dem Sofa saß. »Saß« ist nicht das richtige Wort. Sie kauerte eher in der Ecke.
»Na, das ist aber eine Überraschung, Schätzchen. Wie geht’s dir?«
Dumme Frage. Sie sah furchtbar aus. Ihre Augen waren vor lauter Weinen fast zugeschwollen, und ihr Haar, das gewöhnlich glatt, glänzend und rötlichbraun war, stand ihr jetzt weiß und stachelig vom Kopf ab.
Ich hatte schon davon gehört, daß jemand aufgrund eines Traumas über Nacht weißes Haar bekam. Es war dem Vater in ›Twin Peaks‹ passiert, nach wie vor eine meiner Lieblingsfernsehsendungen. Aber hier erlebte ich es zum ersten Mal persönlich.
»Mir geht’s gut«, sagte sie, griff sich über die Kaffeekanne hinweg ein neues Kleenex-Tuch und schnaubte sich die Nase. »Ich habe Alan verlassen.«
»Ich hol uns einen Tee«, sagte Debbie mit ihrer unecht fröhlichen Stimme.
»Hast du Magentabletten da?« fragte ich.
»Klar.« Debbie verschwand in der Küche, und ich wandte mich Lisa zu und sah sie an.
»Möchtest du darüber reden?«
»Nein.« Dann ganz das höfliche Südstaatenkind: »Nein, Ma’am.«
Ich setzte mich in einen Sessel gegenüber dem Sofa. »Was ist mit den Jungs? Wie geht es denen?«
»Gut. Sie sind in der Schule.«
»Was ist, wenn sie aus der Schule nach Hause kommen?«
»Sie haben einen Schlüssel.« Sie griff nach einem weiteren Kleenex.
Hm. Ich verdaute die Neuigkeiten einen Moment lang. Wenn ich es richtig sah, waren Charlie und Sam so gut wie unbeaufsichtigt.
»Ich habe ihnen eine Nachricht hinterlassen«, sagte Lisa.
Großartig. Die Kinder würden von der Schule nach Hause kommen und eine Nachricht vorfinden, die besagte, daß ihre Mutter ihren Vater verlassen hatte. Und die Kinder auch.
»Was ist mit Alan? Weiß er, daß du weg bist?«
Lisa seufzte und vergrub sich noch tiefer in ihrer Sofaecke. »Das wird er mitkriegen, wenn er nach Hause kommt. Wann immer das sein wird.«
»Aber du möchtest nicht darüber reden?«
»Nein, Ma’am.«
»Entschuldige mich eine Minute, Lisa.« Ich stand auf und ging in die Küche, wo Debbie dabei war, Eistee in drei Gläser zu gießen.
»Hat sie irgendwas gesagt?« fragte sie.
»Nur, daß sie den Jungs eine Nachricht hinterlassen habe, daß sie weg sei, und daß Alan das herausfinden würde, wann immer er nach Hause käme.«
»Wann immer?« Debbie zog die Augenbrauen hoch.
Ich zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung, was da los ist. Ich weiß nicht, ob ich Alan anrufen soll oder nicht. Er sollte wirklich wissen, wo sie steckt.« Ich blickte auf meine Uhr. »Sie muß hierhergerast sein.«
»Soll ich ihn anrufen? Mir macht es nichts aus, wenn er denkt, ich würde mich einmischen.«
»Würdest du das tun?« Ich überließ Debbie die Aufgabe, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Freds Mutter, die einzige Frau auf der Welt, die Mary Alice zum Erzittern gebracht hatte, hatte mich auf die harte Tour gelehrt, michaus den Eheproblemen meiner Kinder herauszuhalten. »Hast du die Nummer?«
Sie nickte und händigte mir ein Fläschchen mit Tabletten gegen Magenschmerzen aus. Ich nahm zwei und kaute sie dankbar. »Finde heraus, was los ist, wenn du kannst. Frag ihn einfach.«
»Mach’ ich.«
Ich rieb mir die Stirn. »Das ist ein höllischer Tag. Gerade erst war Mitzi Phizer bei uns, um uns zu erzählen, daß Arthurs erste Frau ermordet wurde.«
»Mein Gott, Tante Pat. Wessen erste Frau?«
»Die von unserem Nachbarn Arthur. Anscheinend war er als Teenager mit einer Frau namens Sophie Vaughn verheiratet. Die Polizei glaubt, daß sie gestern vergiftet worden ist. Tatsache ist, daß deine Mama und ich dort waren, als sie starb. Unmittelbar vor dem Hunan Hut.«
»Wie bitte, Tante Pat? Ich bin total verwirrt.«
»Mir geht es genauso. Ich erklär’s dir später. Wo sind die Zwillinge?«
»Im Park mit Richardena.«
»Jede Mutter sollte eine Richardena haben.«
»Ich habe großes Glück.«
Ich nahm zwei der Gläser und
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