Mörderische Harzreise (German Edition)
aufzuspielen. Der Geselle, immerhin ein Mann von Mitte dreißig, ignorierte ihn. Er verließ den Arbeitsplatz pünktlich, obwohl noch einiges zu erledigen gewesen wäre. Aber Stefan hatte ihm signalisiert, dass er sich darum kümmern würde. Als dann der Großvater die Schlachterei betrat und fragte, wo dieser faule Kerl von einem Gesellen stecke, antwortete Stefan, dass er ihn nach Hause geschickt habe.
»So, du bist jetzt also der neue Chef. Ein Stift im ersten Lehrjahr bestimmt, dass der Kerl nach Hause geht, obwohl es hier noch aussieht wie im Saustall. Du wirst den Laden nicht ruinieren. Dafür sorge ich. Erst bringt dieses faule Weib sich um, und dann spielt der kleine Rotzbengel sich auf wie der Meister.«
Dass seine Adoptivmutter als faules Weib bezeichnet wurde, gab Stefan einen Stich ins Herz und er entgegnete:
»Halt endlich deine widerliche Fresse, alter Mann! Kauf dir einen Sarg und lass dich begraben.«
Jetzt sah der Alte rot. Er schnallte seinen Gürtel ab und trat auf Stefan zu. Dieser machte zwar eine Drohgebärde, wagte es aber nicht, Hand an den Alten anzulegen. Der Großvater schlug zu und Stefan drehte sich, sodass er den Schlag nicht ins Gesicht bekam. Aber der alte Mann holte erneut aus und schlug unbeirrt weiter zu. Und plötzlich fing er an zu singen:
»Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt…«
Stefan hatte sich in einer Ecke auf dem Boden zusammengekauert, unfähig, etwas zu tun. Als dem Alten die Kräfte ausgegangen waren und er die Schlachterei verließ, hasste Stefan sich selbst. Warum hatte er sich das gefallen lassen? Er war doch stärker. Abends im Bett fasste er den Entschluss, so etwas nie wieder geschehen zu lassen. Eher würde er den Alten umbringen.
Braunlage
In Ferdinands Wohnzimmer saßen Beate und Alfonso auf dem Sofa. Beate, die immer ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihrer dominanten Mutter gehabt hatte, war sichtlich erschüttert. Sie versuchte nun zu begreifen, was geschehen war. Alfonso hielt ihre Hand. Hans-Ulrich und Ferdinand saßen gegenüber in großen Plüschsesseln. Hans-Ulrich, der sich oft ungewollt plump ausdrückte, sagte:
»Vielleicht hätte sie so direkt vor dem Schwimmen nicht den großen Windbeutel essen sollen. Und auch nicht den Kirschkuchen. Als sie das Ganze dann mit einer Flasche Mineralwasser heruntergespült hat, ist mir angst und bange geworden. Dass es da auch in einem so robusten Magen, wie Elvira ihn hatte, zu grummeln beginnt, ist doch klar.«
Jetzt heulte Beate auf, während Alfonso ihre Hand streichelte.
»Naja, sie werden das bei der Obduktion schon feststellen.«
Und wieder jaulte Beate herzzerreißend. Und ihr mexikanischer Schwager streichelte ihr liebevoll über die Wange.
Elvira war nach dem Genuss eines überdimensional großen Windbeutels, gefolgt von einem saftigen Stück Kirschkuchen und einer Flasche Wasser, die sie in wenigen Zügen geleert hatte, munter in den Oderteich spaziert, um sich abzukühlen. Sie war immer eine gute Schwimmerin gewesen. Als sie etwa dreißig Meter hinausgeschwommen war, rief sie, dass ihr schlecht sei. Dann ging sie kurz unter, kam aber wieder über Wasser und schrie um Hilfe. Ganz verwundert erhoben sich Beate und Hans-Ulrich. So etwas kannten sie von Elvira nicht. Schließlich zog Hans-Ulrich, der eigentlich gar nicht schwimmen wollte, T-Shirt und Hose aus und ging ins Wasser. Zunächst ohne Eile, aber dann zunehmend schneller. Da war Elvira plötzlich untergegangen. Hans-Ulrich tauchte mehrmals, bis er seine Schwiegermutter endlich zu fassen kriegte. Dann entglitt sie ihm wieder und er tauchte nochmals. Unter großen Mühen zog er sie an Land. Es waren nicht viele Badegäste da. Aber einer kannte sich mit erster Hilfe aus und versuchte, sie wiederzubeleben. Schließlich wählte jemand den Notruf. Es half alles nichts. Elvira kam nicht mehr zu Bewusstsein. Der Notarzt stellte den Tod fest und sagte, dass sie wohl obduziert werden müsse. Das sei bei Badeunfällen allgemein üblich.
Die vier saßen für eine Weile stumm da, bis Hans-Ulrich sagte: »Komisch eigentlich, dass sie überhaupt untergegangen ist. Und da sagt man immer, Fett schwimmt oben. «
»Hans-Ulrich!«, rief Beate vorwurfsvoll.
»Ich meine das doch gar nicht böse, sondern rein sachlich. Ich dachte, wer so gut mit Fett ausgestattet war wie Elvira, kann doch nicht absacken wie ein Stein.«
Ein paar Tage später, nach erfolgter Obduktion, kam heraus, dass Elvira im Wasser einen
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