Mörderische Harzreise (German Edition)
Da hat Ferdinand also gleich seinen Haus- und Hofprediger herbestellt, damit er ihm seelischen Beistand für seine Missetaten spendet. Habt ihr eine Art Ablasshandel vereinbart? Großzügige Spende gegen Absolution?«
Als Lilly Luft holen musste, konnte der Priester, der nicht wie ein solcher gekleidet war, sondern ein T-Shirt und eine lässige Cargohose anhatte, endlich auch etwas sagen: »Guten Tag, Fräulein Höschen. Schön, Sie so vital zu sehen. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.«
»Abgesehen davon, dass ich vor Wut koche angesichts der Missetaten, die dein Schäfchen dir sicherlich gebeichtet hat, geht es mir ausgezeichnet.«
»Na, das ist doch schön. Allerdings werde ich nicht über das reden, was mir gebeichtet wurde. Und der Ablasshandel wurde schon vor fünfhundert Jahren abgeschafft.«
»Da bin ich mir zwar nicht so sicher. Aber ich will dich natürlich auch nicht in Verlegenheit bringen. Meine Absolution kriegt mein Freund Ferdinand erst, wenn er sein Leben in Ordnung gebracht hat. Mit den Lippen zu bereuen, reicht mir nicht. Ich will Taten sehen.«
Als sich die drei gesetzt hatten, sagte der Pfarrer schließlich: »Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.«
Lilly entgegnete: »Ich beabsichtige nicht, zu richten. Ich trete nur einem meiner ältesten Freunde in den Hintern, damit er endlich auf die richtige Spur kommt. Es geht schließlich nicht nur um ihn allein, sondern auch um einen Menschen, für den er Verantwortung trägt. Nachdem er sich ein halbes Jahrhundert lang erfolgreich darum gedrückt hat, ist es an der Zeit, sich seinem Handeln endlich zu stellen.«
Die beiden redeten über Ferdinand, als ob er gar nicht anwesend wäre. Schließlich meinte dieser: »Darf ich auch mal was sagen?«
Lilly und Johannes sahen Ferdinand ganz verwundert an, als ob sie seine Gegenwart jetzt erst wahrnahmen.
»Also, Lilly, zu deiner Information: Ich habe mit Johannes besprochen, dass ich mit meinem Sohn Kontakt aufnehmen werde. Ich werde ihm für ein Gespräch zur Verfügung stehen. Aus seiner eigenen leidvollen Erfahrung hat Johannes mir dazu ausdrücklich geraten.«
»Das finde ich prima. Respekt, Pfarrer Johannes. Es war sicherlich nicht leicht, diesen alten Pisepampel dazu zu kriegen.«
Jetzt musste Johannes lachen: »Manchmal brauchen die Menschen nur einen kleinen Schubs. Oder ein Wort der Ermutigung.«
»Na, dann kann ich mir den Tritt in den Hintern ja sparen, den ich ihm zugedacht hatte. Manchmal seid ihr Popen ja doch zu etwas gut.«
Der Pfarrer lächelte Lilly an. Er kannte sie von Kindheit an und wusste um ihr loses Mundwerk. Als junger Kaplan hatte er mal gewagt, ihr zu widersprechen. Da hatte sie sich beim Hinausgehen mit den Worten verabschiedet: Tja, dann Gottes Segen für dich, heiliger Johannes, und einen schönen Gruß an dein Fräulein Mutter. Das hatte er ihr
lange nachgetragen. Aber inzwischen amüsierte ihn so etwas. Und er wusste auch, dass sie mit den geistlichen Vertretern ihrer eigenen Konfession genauso respektlos umging. Manchmal wünschte er sich, seine Mutter wäre ebenso stark, statt Zeit ihres Lebens eine Büßerstellung einzunehmen, weil sie es gewagt hatte, ihn als unverheiratete Frau zur Welt gebracht zu haben.
Dann kramte Lilly aus ihrem Korb eine Flasche mit selbstgemachtem Holunderwein heraus und bat Ferdinand, Gläser zu holen.
»Nachdem wir die Sache mit Gottes und Johannes´ Hilfe einigermaßen auf die Reihe gekriegt haben, gönnen wir uns doch einen guten Schluck«, meinte Lilly.
»Oh, das ist ja fabelhaft. Ist das etwa Ihr berühmter Holunderwein?«, fragte Johannes.
»Allerdings.«
»Nachdem Sie nun wieder milde gestimmt sind, nehme ich an, dass Sie hier niemanden vergiften wollen?«
»Nicht, wenn ich selbst mittrinke.«
»Naja, nicht, dass ich Ihnen das zutraue. Aber theoretisch hätten Sie ja in Ihrer Erbostheit durchaus eine Prise Gift oder ein Abführmittel einfüllen können«, sagte Johannes lachend.
»Theoretisch, mein lieber Johannes, hätte ich auch Katzenpisse einfüllen können. Vorausgesetzt, ich hätte eine Katze gefunden, die bereit gewesen wäre, in die Flasche zu pinkeln.«
Kurz nachdem Johannes sich verabschiedet hatte, trafen Hans-Ulrich, Beate und Alfonso ein. Sie waren von Drei-Annen-Hohne mit der Brockenbahn auf den Gipfel gefahren und zurück gelaufen. Hans-Ulrich und Alfonso freuten sich, Lilly zu sehen. Beate hingegen war Lilly nach wie vor suspekt. Außerdem war sie erschöpft und ging deshalb auf ihr Zimmer. Sie
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