Mörderische Harzreise (German Edition)
dreißig Jahren so aus. Aber ich habe mit diesem Männertyp keine guten Erfahrungen. Der Vater meines Adoptivvaters sah so ähnlich aus. Und der hat mich geschlagen und gedemütigt. Auch dein Professor, der dich damals durchfallen lassen wollte, hat so ausgesehen.«
»Aber den kanntest du doch gar nicht.«
Jetzt erschrak Stefan. Warum hatte er das gesagt? Wie sollte er sich jetzt da rausreden? Dann fiel ihm ein, dass er seinen Sohn noch nie belogen hatte. Jetzt kam es auch nicht mehr darauf an. Sollte Michael doch ruhig die ganze Wahrheit erfahren. Oder zumindest so viel, wie er ertragen konnte.
»Als du damals in London warst, habe ich ihn aufgesucht.«
»Was!? Aber da ist er doch ermordet worden. Und du hast ihn noch lebend gesehen?«
»Ja. Zuerst hat er noch gelebt. Aber als ich dann gegangen war, nachdem er gesagt hatte, dass ich verschwinden solle und er mich ausgelacht hat, da hat er nicht mehr gelebt.«
Jetzt verstand Michael nicht mehr. Er war ganz von der Rolle.
»Bitte, Papa, jetzt mal ganz langsam. Willst du mir sagen, dass du Professor Tisch umgebracht hast?«
Michael hatte dabei ein ungläubig-erstauntes Gesicht. Eigentlich war seine Frage ironisch gemeint.
»Ja. Er hat mich gedemütigt und war damit beschäftigt, das Leben meines Sohnes zu zerstören. Da ist in mir alles wieder hochgekommen. Er war genau so ein Schwein wie der Vater von Hans Anselmann, der mich geschlagen und gedemütigt hat.«
»Bitte, noch mal ganz in Ruhe. Aber du willst mir damit nicht sagen, dass du den Großvater auch umgebracht hast?«
»Genau das will ich sagen. Ich war eines Tages nicht mehr bereit, zu ertragen, wie er seine Hasstiraden über mich ergoss. Meinen verstorbenen Adoptivvater und dessen Frau hat er damit zerstört. Bei mir sollte ihm dies nicht gelingen. Ich würde mich wehren. Das hatte ich mir geschworen. Da hab ich ihm kurzerhand mein Messer in die Kehle gerammt. Genau wie deinem Professor.«
»Ich glaube dir kein Wort. Du bist der liebevollste und freundlichste Mensch, den ich kenne. Sag bitte, dass das nicht wahr ist. Dass du dich über mich lustig machst. Du bist kein Mörder.«
»Es ist wahr. Und nun mach mit mir, was du willst.«
»Wieso? Was soll ich denn mit dir machen? Ich kann nichts machen. Ich kann nur so tun, als sei das alles nicht wahr. Ich brauch nicht mal so zu tun. Ich glaube dir nicht. Du bist kein Mann, der andere Menschen umbringt. Du bist der herzlichste, netteste Mensch, der mir je begegnet ist. Soweit ich weiß, hast du dich bisher noch nicht einmal geprügelt. Selbst mir hast du nie ein Haar gekrümmt, obwohl es Zeiten gab, wo ich es mehr als verdient hätte. Also, erzähl mir doch hier keine Schauergeschichten.«
»Wenn diese anderen Menschen sich wie Menschen benehmen würden, brächte ich sie auch nicht um. Aber, was der Großvater mir angetan hat, hat mit Menschlichkeit nichts zu tun. Und das, was dein Professor mit dir gemacht hat, auch nicht.«
»Aber das ist doch kein Grund…«
»Für mich war es das schon. Und was dieser vermeintliche Vater in Braunlage getan hat, wäre auch ein Grund.«
»Um Himmels Willen, Papa! Ich flehe dich an! Fahr nie wieder dorthin. Lass den alten Mann in Ruhe.«
»Ich habe gar nicht gesagt, dass ich noch mal da hinfahren will.«
Michael nahm zwar ernst, was sein Vater ihm erzählt hatte. Aber er konnte ihm nicht glauben, dass er zwei Menschen getötet haben sollte. Vielleicht litt er unter einer psychischen Krankheit, die ihn zeitweise wirklich glauben ließ, er sei ein Mörder. Allerdings machte er nicht den Eindruck, als sei er psychisch labil. Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Vielleicht sollte er abwarten, wie sich sein Zustand weiterentwickelte. Möglicherweise war ja morgen alles wieder im Lot und er hatte sich wieder gefangen. Oder ob er mit ihm einen Psychiater aufsuchen sollte? Michael war im Moment einfach nur ratlos. Sein Vater hatte so ernsthaft gesprochen, dass er sich wirklich Sorgen machte. Und vor allem hatte er ein sehr schlechtes Gefühl, wieder nach Hamburg fahren zu müssen.
Braunlage: Der Pfarrer
Als Lilly Ferdinands Haus betrat, sah dieser etwas verschüchtert drein und meinte gleich:
»Ich habe mir gedacht, dass du kommst. Deshalb habe ich meinen Besuch vorsorglich auf eine Brockenwanderung geschickt. Außerdem ist noch ein anderer Gast da.«
Lilly lächelte nur. Als sie dann Johannes Neugebauer im Wohnzimmer sah, prasselte es aus ihr heraus: »Hallo, Johannes. Das ist ja praktisch.
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