Moerderische Idylle
dachte er.
Die Geschichte, die Rogersson nun erzählte, enthielt all die üblichen Zutaten, die Geschichten eben enthalten, wenn sie von einem Mund zum nächsten weitergereicht werden. Diese hier hatte auf dem Weg vom Badezimmerspiegel im Grand Hotel zu Rogerssons interessierten Ohren schon allerlei Zwischenstopps eingelegt.
»Das pure Stureplansmassaker, er hat offenbar das halbe Hotel zu Klump geschossen«, endete ein zufrieden grinsender Roger fünf Minuten später.
»Bestimmt ist er mit dem Kinn am Abzugshahn hängen geblieben, als er die Waffe reinigen wollte«, meinte Bäckström. »Wenn du oder ich das gewesen wären, dann würden wir jetzt noch bei den Kollegen unten in Malmö im Knast hocken.«
»Ist das Leben gerecht«, sagte Rogersson, schüttelte den Kopf und goss die letzten Tropfen aus der ersten Dose in sein Glas.
»Schläft Dolly Parton auf dem Bauch«, fügte Bäckström hinzu.
»Komisch, dass von der ganzen Geschichte keine Zeile in den Zeitungen steht«, sagte Rogersson.
»Das lässt sich sicher einrichten«, sagte Bäckström, und nun lächelte auch er. »Ich werde mal kurz mit Kollegen Äström plaudern. Der kann das dann zu unseren üblichen Quellen mitnehmen.«
36
Am nächsten Morgen brachte Smälandsposten einen längeren Artikel über einen wunderbaren Kulturskandal, der soeben die Stadt erhitzte. Jan Lewin beschloss sofort, den Artikel auszuschneiden und zu seinen Reiseaufzeichnungen zu legen.
Der Oberstaatsanwalt und derzeitige Parlamentsabgeordnete für die Christdemokraten, Ulf G. Grimtorp, hatte eine scharfe Attacke gegen die populistischen und seiner Meinung nach moralisch anfechtbaren Kulturvorstellungen geritten, die seiner festen Überzeugung nach die Aktivitäten der Växjöer Kulturverwaltung dominierten.
Vor allem ein Projekt hatte sein Missfallen hervorgerufen. Dieses Projekt war für junge Zuwandererfrauen vor Ort gedacht. Es trug den Namen Rad-Schwimm-Projekt und lief ganz einfach darauf hinaus, dass junge Frauen aus Zuwandererfamilien Rad fahren und schwimmen lernen sollten. Für drei Wochen im Sommer war ein Schullandheim gemietet worden, in ruhiger ländlicher Umgebung, mit eigenem Badesee, Lehrerinnen, Fahrrädern und Schwimmflossen. Alle vierzehn Kursteilnehmerinnen hatten Rad fahren und schwimmen gelernt und die Abschlussprüfung mit Glanz bestanden.
Drei dieser Frauen wurden in der Zeitung interviewt und berichteten einstimmig, dass die auf diese Weise erworbenen physischen Fähigkeiten sie auch befähigten, in intellektueller Hinsicht in ihrem Leben weiterzukommen. Dass sie sich auf diese Weise von den patriarchalischen Fesseln befreien könnten, die ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Schicksalsgenossinnen einschränkten. Dass sie Stärke, Freiheit und Selbstachtung gewonnen hätten und damit die einfachste Voraussetzung dafür, sich vermehrt traditionellen kulturellen Interessen und Werten zu öffnen.
Der Kulturbeauftragte der Gemeinde, der für dieses und andere Sonderprojekte zuständig war, Bengt A. Mänsson, beschrieb das Rad-Schwimm-Projekt als fast einzigartigen Erfolg.
»Jemand, der meint, das habe nichts mit Kultur zu tun, hat nicht im Geringsten begriffen, was Kultur eigentlich bedeutet«, erklärte Projektleiter Mänsson, und für den Winter planten sie übrigens einen Ski- und Schlittschuhlehrgang, das Ski-Gleit-Projekt.
Der Abgeordnete Grimtorp erklärte das alles für puren Unsinn. Als dämliche und leicht durchschaubare Verbeugung vor allerlei linksradikalen männlichen Kultursnobs, die für das sauer verdiente Geld der Steuerzahler zusammen mit jungen Frauen ihren Bauch in der Sonne braten lassen wollten.
Für Geld, das nach Grimtorps fester Überzeugung eigentlich dem Stadttheater von Växjö, dem lokalen Kammerorchester und der Bibliothek und ihren verschiedenen Aktivitäten zufließen müsste. Ganz zu schweigen davon, dass die Stipendien für die vielen jungen und vielversprechenden Glaskünstler, Maler und Bildhauer der Stadt aufs Spiel gesetzt würden.
Dieser Grimtorp muss ja eine trübe Tasse sein, dachte Jan Lewin, und aus irgendeinem Grund musste er an den fast fünfzig Jahre zurückliegenden Sommer denken, in dem er sein erstes richtiges Fahrrad bekommen hatte. Ein rotes Crescent Valiant. Sicher das gleiche Valiant wie in der Comicserie über Prinz Eisenherz, der auf Englisch ja Valiant hieß. Er hatte seinen Papa gefragt, und der Papa hatte ihm von dem edlen Ritter Prinz Eisenherz erzählt.
Prinz Eisenherz
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