Moerderische Kuesse
ein, die er mit in die Bibliothek nahm, wo er sich über das Neueste vom
Tage
informierte.
Inzwischen
war
auch
die
Morgenzeitung ausgetragen, die er studierte, während er eine Schale Cornflakes löffelte – so viel brachte selbst er ohne Bridgets Hilfe zustande – und noch einen Kaffee trank. Dem Frühstück folgte eine Dusche und die Rasur, und um Punkt halb acht trat er aus der Haustür, gerade als sein Chauffeur am Straßenrand hielt.
Frank hatte sich lange geweigert, gefahren zu werden, weil er lieber selbst hinter dem Lenkrad saß. Aber da in Washington, D. C, der Verkehr ein einziger Albtraum war und ihm beim Fahren kostbare Zeit verloren ging, die er zum Arbeiten nutzen konnte, hatte er schließlich nachgegeben. Sein Fahrer Keenan arbeitete inzwischen seit sechs Jahren für ihn, und seither hatte sich, fast wie bei einem alten Ehepaar, eine für beide Seiten angenehme Routine eingeschlichen. Frank fuhr immer vorn –
wenn er auf der Rückbank zu lesen versuchte, wurde ihm schlecht –, aber abgesehen von einer kurzen Begrüßung wechselte er während der Fahrt zur Arbeit kaum ein Wort mit Keenan. Nachmittags war das anders; auf der Heimfahrt hatte Frank zum Beispiel erfahren, dass Keenan sechs Kinder hatte, dass seine Frau Trisha Konzertpianistin war und dass sein jüngstes Kind bei seinen Kochexperimenten um ein Haar das ganze Haus niedergebrannt hätte. Mit Keenan konnte Frank sogar über Dodie reden, über die schönen Zeiten mit ihr und über das Erwachsenwerden früher, als es noch kein Fernsehen gab.
»Guten Morgen, Mr. Vinay«, wünschte Keenan und wartete ab, bis Frank sich angeschnallt hatte, ehe er geschmeidig losfuhr.
»Guten Morgen«, erwiderte Frank gedankenversunken und bereits in den Bericht auf seinem Schoß vertieft.
Hin und wieder sah er auf, vor allem, damit ihm nicht übel wurde, aber im Grunde bekam er nichts von dem Gedränge mit, in dem hunderttausende von Pendlern Tag für Tag zur Arbeit in die Hauptstadt strömten.
Sie befanden sich gerade mitten auf einer Kreuzung, auf der rechten von zwei Linksabbiegerspuren, eingeklemmt zwischen den Autos vor, neben und hinter ihnen, die alle wie sie auf das Grün zum Abbiegen gewartet hatten, als er rechts Bremsen quietschen hörte und aufblickte, um festzustellen, woher das Geräusch kam. Frank sah einen weißen Floristenlieferwagen über die Kreuzung preschen, ohne auf die zwei Linksabbiegerspuren zu achten. Dichtauf folgten die blitzenden Signallichter eines Polizeiautos. Der Kühlergrill des Lieferwagens wurde immer größer und raste genau auf Frank zu. Er hörte Keenan »Scheiße!« fluchen und spürte, wie sein Chauffeur das Lenkrad herumriss, um den Wagen nach links, auf die Spur nebenan, zu ziehen. Dann folgte ein alles zerfetzendes Krachen, so als hätte ein Riese ihr Auto hochgerissen und auf den Boden geschleudert, wobei Franks ganzer Körper zermalmt wurde.
Keenan erwachte mit Blutgeschmack im Mund. Qualm schien das Wageninnere zu füllen, und etwas wie ein riesiges Kondom hing schlapp aus der Mitte des Lenkrades. Sein Schädel dröhnte, und jede Bewegung kostete ihn eine solche Kraft, dass er kaum den Kopf von der Brust zu heben vermochte. Er starrte das Riesenkondom an und rätselte, woher, in aller Welt, es aufgetaucht war. In seinem linken Ohr gellte ein zorniges Blöken, weshalb sein Kopf sich anfühlte, als würde er gleich explodieren, und dahinter hörte er wie aus weiter Ferne andere Geräusche wie lautes Gezeter.
Scheinbar eine halbe Ewigkeit, in Wirklichkeit jedoch nur wenige
Sekunden
starrte
Keenen
blöde
auf
das
Lenkrad‐Kondom. Dann setzte sein Verstand wieder ein, und er erkannte, dass das Kondom ein Airbag und der »Qualm« in Wahrheit der Puder von der Hülle war. Mit einem fast hörbaren »Klick« meldete sich die Realität zurück.
Der Wagen befand sich inmitten eines einzigen Metallgewirrs. Bei einem der beiden Autos, die links von ihnen standen, war der Kühler geplatzt, und echter Dampf stieg daraus auf. Gegen die Beifahrerseite presste sich eine Art Lieferwagen. Ihm fiel ein, dass er versucht hatte, den Wagen herumzureißen, damit sie nicht aufgespießt wurden, und dann hatte sie ein Schlag getroffen, der schlimmer war als alles, was er je erlebt hatte. Der Lieferwagen hatte genau auf Mr. Vinays Tür gezielt – O Gott.
»Mr. Vinay«, krächzte er, ohne seine eigene Stimme wieder zu erkennen. Er drehte den Kopf zur Seite und starrte auf den Direktor der Abteilung Auslandseinsätze.
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